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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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dem Bild? Offenbar hofft
Strangman, daß du die Fluten ebenso besänftigen wirst, wie Esther damals den
König zähmte.«
    »Genau, Kerans«, mischte sich
Strangman ein, »Sie haben es erfaßt.« Er verbeugte sich vor Beatrice. »Ich
hoffe, Sie nehmen das Kompliment an?«
    »Ich fühle mich natürlich sehr
geschmeichelt«, schwindelte sie und ging zum Bild, um ihr Double zu studieren.
Dann trat sie zur Reling vor und starrte ins Wasser. »Ich weiß aber nicht, ob
mir diese Rolle gefällt.«
    »Es ist aber Ihre Rolle, bestimmt!«
Strangman schickte den Steward zu Bodkin, der ganz verträumt dasaß, und schlug
dann Kerans auf die Schulter. »Passen Sie mal auf, Doktor, was jetzt alles
kommt ...«
    »Schön. Ich werde schon langsam
ungeduldig.«
    »Was, nach dreißig Millionen Jahren
können Sie nicht mal fünf Minuten warten? Offenbar habe ich Sie in die
Gegenwart zurückgeholt, was?«
    Während des Essens stand Strangman
mehrmals auf und konferierte leise mit dem Admiral. Als dann die ersten Brandys
das Mahl beschlossen, setzte er sich endgültig zu seinen Gästen und zwinkerte
Kerans auffällig zu. Zwei der Boote waren zum Ende der Lagune gefahren und im
Verbindungskanal verschwunden, das dritte lag in der Mitte des Wassers, von
seinem Deck aus wurde ein kleines Feuerwerk abgebrannt.
    Die Lagune wurde noch von den letzten
Sonnenstrahlen erhellt, aber es war bereits dunkel genug, um die Raketen
sprühen zu sehen. Das Glitzern der vielgestaltigen Figuren hob sich deutlich vom
abendlichen Himmel ab. Strangmans Grinsen wurde immer breiter, im Schein der
grünen und roten Raketenblitze sah sein Gesicht jetzt wahrhaft teuflisch aus.
    Kerans war gar nicht wohl zumute. Er
beugte sich vor und wollte gerade fragen, wann die Überraschung beginne, aber
Strangman kam ihm zuvor.
    »Haben Sie denn noch nichts gemerkt?«
Er sah sich nach den beiden anderen um. »Beatrice, Dr. Bodkin – Ihr seid aber
alle langsam. Kommt doch mal aus eurer Urzeit heraus.«
    Eigenartiges Schweigen lastete
plötzlich über ihnen, Kerans klammerte sich unwillkürlich fester an die Reling,
falls Strangman vielleicht vorhatte, unter Wasser Detonationen loszulassen. Er
blickte aufs untere Deck und sah dort die Schwarzen an der Reling stehen, alle
starrten schweigend aufs Wasser, ihre dunklen Gesichter schimmerten geisterhaft
im Lichtschein der Raketen.
    Von irgendwoher erklang leises
Trommeln – die Pumpen, die den ganzen Tag gearbeitet hatten, waren jetzt nach
dem Feuerwerk wieder deutlich zu hören. Rund um das Schiff war das Wasser
merkwürdig leblos und ruhig geworden, selbst der leichte Wellengang, den man
sonst meist spürte, war verschwunden. Ob eine Gruppe Alligatoren ein
Unterwasserballet vorführen würde? Kerans spähte ins Wasser.
    »Alan, du meine Güte! Beatrice, sehen
Sie denn nichts?« Kerans stieß seinen Stuhl zurück und sprang vor. Er wies aufs
Wasser. »Da, es geht hinunter!«
    Plötzlich stiegen die Gebäude vor
ihnen, wie von Geisterhand gehoben, aus dem Wasser empor. Ein Dach nach dem
anderen tauchte auf, vier- und fünfstöckige Häuser, bisher ganz bedeckt, wurden
sichtbar. Fische, die eben noch im Wasser zwischen den Algen umhergeflitzt
waren, wanden sich verzweifelt im Trockenen und versuchten, ihr nasses Element
wieder zu erreichen. Aus den Fenstern der nach und nach sichtbar werdenden
Häuser quoll Wasser, Algen klebten zottelig an den Drähten, die schlaff über
den Straßen hingen.
    Die Lagune war bereits verschwunden.
Das Schiff sank und saß schon beinahe auf einem großen, weiten Platz auf.
Ringsum türmten sich kubische Gebilde, am Rande verloren sich die Mauern im
höher liegenden Boden der umgebenden Pflanzenwelt. Das wenige verbliebene
Wasser sammelte sich in Kanälen, dunklen, undurchsichtigen Rinnsalen, die um
die Häuserecken plätscherten und sich in enge Hintergassen ergossen.
    »Robert! Mach, daß das aufhört! Das
ist ja gräßlich!« hörte Kerans Beatrice schreien und spürte gleichzeitig ihre
langen Nägeln durch den Stoff seiner Jacke sich in seinen Arm graben. Sie
starrte auf die aus den Fluten auftauchende Stadt, Entsetzen spiegelte sich in
ihren gespannten Zügen; der scharfe Geruch der Wasserpflanzen widerte sie an,
das ganze Gewirr von muschelbesetztem, verrostetem Unrat. Schlamm hing an den
kreuz und quer verlaufenden Drähten und schiefen Neonreklamen, alle Mauern
waren von einer feinen Sandschicht überzogen – die einst so schöne versunkenen
Stadt war zu einer ausgetrockneten, stinkenden

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