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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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Abwassergrube geworden.
    Kerans mußte sich erst an den Anblick
gewöhnen, es war eine völlige Umkehr seiner normalen Welt, die Wiedergeburt vor
seinen Augen ließ sich nicht so schnell in sein Denksystem einordnen. War es zu
einem Klimasturz gekommen, der alle sich ausdehnenden Meere plötzlich
einschrumpfen ließ und die versunkenen Städte freilegte? Dann mußte er sich
einen Weg zu dieser neuen Gegenwart bahnen oder einsam Millionen Jahre entfernt
am Ufer einer einsamen Trias-Lagune verbleiben. Tief in seinem Inneren hörte er
jedoch in immer noch unverminderter Stärke das pulsierende Dröhnen der Sonne,
und neben ihm flüsterte Bodkin: »Äußerst kräftige Pumpen. Jede Minute sinkt der
Wasserspiegel um fast einen Meter. Wir sind dem Boden schon ganz nahe.
Fantastische Sache!«
    Strangman lag in seinem Deckstuhl und
wälzte sich vor Lachen, er wischte sich mit der Serviette die Tränen aus dem
Gesicht. Alle Spannung war von ihm gewichen, er freute sich jetzt nur noch an
den verblüfften Gesichtern an der Reling. Der Admiral sah von der
Kommandobrücke aus amüsiert hinunter. Unten zogen einige Männer die Ankerketten
ein und sorgten dafür, daß das Schiff auf dem Platz richtig zu liegen kam.
    Die zwei Boote, die während des
Feuerwerks zum Lagunenausgang gefahren waren, wurden jetzt hinter einem
massiven Balken sichtbar. Kaskaden schäumenden Wassers flossen aus den Ventilen
eines riesigen Pumpaggregates. Das Depotschiff sank tiefer, Boote und Pumpe
wurden durch Dächer und Häuser verdeckt. Der Wasserstand war kaum noch fünf
Meter, in einiger Entfernung sahen sie das dritte Boot in einer Straße
vorsichtig zwischen den schlaffen Drähten lavieren.
    Strangman nahm sich zusammen, er
hörte mit seinem irren Gelächter auf und ging zu seinen Gästen. »Perfekte
Arbeit, nicht wahr, Dr. Bodkin? Ein Riesenspaß, fantastische Sache; finden Sie
nicht? Schauen Sie doch nicht so entgeistert, gratulieren Sie mir lieber!
Leicht war die Sache wirklich nicht!«
    Bodkin nickte und rückte ein wenig
von Strangman ab. Er sah immer noch ganz verblüfft aus. Kerans fragte: »Und wie
haben Sie den Wall befestigen können? Es gibt doch keine durchgehende Mauer um
die Lagune.«
    »Jetzt gibt es eine. Ich denke, Sie
sind Meeresbiologe? Die Pilze im Sumpf draußen bilden eine einzige Masse, und
seit letzter Woche gab es nur noch einen Zufluß, das Abdämmen kostete uns ganze
fünf Minuten.«
    Er sah fröhlich auf die immer
deutlicher sich abzeichnenden Straßen, eben kamen die ersten Lastautos und
Omnibusse in Sicht. Riesige Anemonentiere und Seesterne zappelten im Seichten,
aus den Fenstern fielen Brocken zusammengefallener Braunalgen.
    Bodkin sagte wie betäubt: »Leicester
Square.«
    Strangman hatte ganz zu lachen
aufgehört, er wandte sich abrupt dem alten Mann zu, gierig betrachtete er die
reklamebedeckten Fassaden früherer Kinos und Theater.
    »Sie kennen sich also doch hier aus,
Doktor Bodkin! Schade, daß Sie uns nicht früher helfen konnten, als wir nicht
weiterkamen.« Er schlug fluchend auf das Geländer. »Aber jetzt geht's richtig
los bei uns!« Vor sich hin knurrend verließ er die drei, stieß den Eßtisch mit
einem Fußtritt zur Seite und schrie dem Admiral etwas zu.
     
    Beatrice sah ihm besorgt nach – vor
Schreck hatte sie eine Hand an die Kehle gelegt. »Robert, der ist ja verrückt!
Was wollen wir tun – er trocknet bestimmt alle Lagunen aus.«
    Kerans nickte. Strangmans Benehmen
hatte sich beim Auftauchen der Straßen und Gebäude abrupt verändert. Alle
Anzeichen guten Benehmens und freundlicher Lebensart waren verschwunden, er war
von wilder Gier beherrscht, abtrünniger Geist der Slumstraßen, der auf seine
alten Spielplätze zurückkehrte. Es war, als habe ihn das Wasser betäubt, seinen
wahren Charakter überdeckt und ihm eine oberflächliche Politur verliehen, durch
die gelegentlich das Innere in Form von plötzlichen Launen durchschimmerte.
    Über ihnen auf dem Kinodach hockte
die Teststation, ein einsamer Felsbrocken auf hoher Klippe. Die höchsten
Gebäude ragten noch gut zwanzig bis dreißig Meter darüber hinaus, sie bildeten
einen Wall, der jeden Ausblick in die Ferne verwehrte. Sie selbst standen in
einer düsteren, engen Schlucht, ähnlich dem Talboden eines Cañon.
    »Ist ja auch egal«, meinte Kerans
schließlich. Er stütze Beatrice, als das Schiff zu Boden kam und leicht zur
Seite kippte. Unter dem Bug zerknirschte ein Auto. »Wenn er die Läden und
Museen ausgeraubt hat, zieht er wieder

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