Karneval der Alligatoren
Marsch – durch Schläge auf verschieden dicke Teile der
Schädeldecke und Schläfen brachte er sogar so etwas wie eine Tonleiter
zustande. Andere machten es ihm nach, jeder nahm sich zwei verschiedene
Knochenteile, Ellen und Speichen, Schienbeine, Schenkel und was sonst noch auf
dem Haufen lag –, es begann ein verrückter Knochentanz. Kerans sah die ihn
umdrängenden bösartig grinsenden Gesichter kaum, er wartete, daß dies aufhören
würde, lehnte sich zurück und versuchte nur, seine Augen zu schützen, als eine
Salve Leuchtraketen dicht über ihm barst und das Schiff und den Platz hell
erleuchtete. Es war das Schlußsignal, Startzeichen für eine weitere
Arbeitsnacht.
Strangman und der Admiral lösten sich
mit lautem Schrei von der Gruppe. Der Wagen wurde weggezogen, holperte auf
metallener Bereifung über die Pflastersteine, die Flammen wurden erstickt. In
wenigen Minuten war der Platz leer, ein paar halbgelöschte Feuer glühten noch zwischen
Kissen und Trommeln, gelegentlich züngelte eine Flamme hoch und spiegelte sich
im Gold des Thrones und in den glänzenden Knochen.
Immer wieder kehrten während der
Nacht kleine Gruppen zum Platz zurück, karrten ihre Beute vor sich her,
Bronzestatuen oder Teile eines Portals, hievten sie aufs Schiff und
verschwanden wieder in der Dunkelheit. Die dunkle Gestalt auf dem Thron
beachteten sie gar nicht. Kerans war eingeschlafen, wußte nichts mehr von
Hunger und Erschöpfung; erst kurz vor dem Morgen, in der kältesten Stunde der
Nacht, wachte er auf und rief nach Beatrice; seit seiner Gefangennahme nach
Bodkins Tod hatte er sie nicht mehr gesehen. Vermutlich hielt Strangman sie auf
dem Schiff gefangen.
Die Morgendämmerung brach ein, am
Himmelsrand zog schon die Sonne auf. Eine Stunde später waren Platz und Straße
still und leer, nur das ferne Surren der Klimaanlage im Depotschiff erinnerte
Kerans daran, daß er nicht allein war. Ein wahres Wunder, daß er den
vergangenen Tag überstanden hatte, trotz vieler Stunden in voller Mittagsglut,
Kopf und Körper durch nichts vor der unbarmherzigen Sonne geschützt als die
Algen, die von seiner Krone hingen. Wie ein gestrandeter Neptun saß er da, in
einem Pavillon aus Algen, einen Teppich weißglänzender Gebeine zu Füßen, mit
Unrat garniert. Einmal merkte er, daß sich eine Luke hinter ihm öffnete,
offenbar beobachtete ihn Strangman von oben – kurz darauf übergoß man ihn mit
einigen Eimern eiskalten Wassers. Er saugte in fiebriger Hast die kalten
Tropfen ein, die von den Algen wie Perlen auf seine Lippen fielen. Gleich
danach fiel er in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung, aus dem er erst am
späten Nachmittag kurz vor Beginn der Festlichkeiten erwachte.
Nach diesem Erwachen war Strangman im
frisch gebügelten blütenweißen Anzug zu ihm gekommen, hatte ihn kritisch
betrachtet und in einem merkwürdigen Anfall von Mitleid gesagt: »Noch immer am
Leben – Mann, wie machen Sie das?«
Diese Bemerkung hielt ihn den ganzen
zweiten Tag hindurch aufrecht, in der schlimmsten Zeit, mittags, als die Sonne
die Luft über dem Platz in weißglühende Schichten verwandelte, sie geradezu zu
kristallisieren schien. Seine Haut brannte wie Feuer. Er starrte stumpf auf die
Marmorstatuen und dachte an Hardman, wie er damals über die Dünen aus
leuchtender Asche durch Lichtsäulen dem weit offenen Sonnenmund
entgegengewandert war. Die Kraft, die Hardman damals half, schien sich jetzt
auch in ihm zu manifestieren, paßte seine Körperfunktionen offenbar den
Gegebenheiten so an, daß er die ununterbrochene Hitze ertragen konnte. Noch
immer beobachtete man ihn vom Deck aus. Einmal war ein Salamander von gut einem
Meter Länge zwischen den Knochen auf ihn zugehuscht und hatte seine grausigen
Zähne gefletscht, als er Kerans witterte. Ein einziger Schuß war an Deck
ertönt, die Echse lag gekrümmt, als blutige Masse zu Kerans Füßen.
Bewegungslos wie ein Reptil saß er im
Sonnenschein und wartete geduldig auf das Ende des Tages.
Strangman war offenbar wieder
erstaunt, ihn zwar schwankend und halb im Delirium, aber immerhin lebend
anzutreffen. Ein nervöses Zucken lief um seinen Mund, er sah Cäsar und die
Mannschaft gereizt an – alle standen im Fackellicht um das Podium, offenbar ebenso
überrascht wie er selbst. Als Strangman nach Trommeln brüllte, reagierten die
Leute merklich weniger prompt.
Strangman wollte Kerans Kraft ein für
alle Male brechen: Er befahl, noch zwei Rumfässer auf den Platz zu bringen,
wohl in der
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