Karneval der Alligatoren
anderen, ihm zu
folgen. Schreiend und jauchzend folgte ihm das Pack.
Kerans Kopf und rechte Schulter waren
halb in den klebrigen Sand eingebohrt. Mühsam versuchte er sich zu befreien. Er
drehte die Hände in den gelockerten Handschellen, konnte sich aber immer noch
nicht ganz daraus lösen.
Er stützte sich auf die Schultern und
versuchte, den Thron wegzuziehen. Dann bemerkte er plötzlich, daß die linke
Lehne an der Vertikale ausgebrochen war. Er drückte mit den taub gewordenen
Fingern dagegen und löste die Vertäuung Stück um Stück heraus.
Als seine Hand endlich frei war, ließ
er sie schlaff zu Boden sinken, dann massierte er sich die aufgesprungenen
Lippen und Wangen und knetete die steif gewordenen Brust- und Bauchmuskeln. Er
drehte sich auf die Seite und riß an dem Knoten, der das rechte Handgelenk mit
den schon gelösten Seilstücken verband. Im kurzen Lichtschein der Leuchtraketen
gelang es ihm nach und nach, alles aufzuknoten und sich ganz zu befreien.
Etwa fünf Minuten lang lag er reglos
unter dem dunklen Gebälk des Throns und horchte auf die sich entfernenden
Stimmen.
Kerans kroch unter dem Thron hervor,
erhob sich, machte schwankend ein paar Schritte, stolperte und mußte sich gegen
die nächste Mauer lehnen. Sein Kopf dröhnte von der Anstrengung. Er preßte das
Gesicht gegen den kühlen, immer noch feuchten Stein und blickte die Straße
entlang, auf der Strangman mit seinen Leuten verschwunden war.
Eben wollte er unwillkürlich die
Augen schließen, da sah er zwei Gestalten heraufkommen, eine im bekannten
weißen Anzug, die andere riesengroß und rundrückig. Die beiden kamen rasch auf
ihn zu.
»Strangman ...« flüsterte Kerans. Er
krallte sich in den losen Mörtel und drückte sich ganz eng in den Schatten der
Mauer. Die zwei Männer waren nur noch hundert Meter von ihm entfernt, er hörte
deutlich die energischen Schritte Strangmans und Cäsars schlurfenden Gang. Als
Cäsar über eine Kreuzung ging, blitzte etwas Silbernes in seiner Hand auf.
Kerans schlich suchend die Wand
entlang, beinahe hätte er seine Hand an einer zerbrochenen Fensterscheibe
geschnitten. Wenige Meter weiter oben war der Eingang zu einer langen Arkade.
Schwarzer Schlamm bedeckte fast knietief den Boden. Kerans bückte sich, als er
die flachen Stufen hinaufstieg, und rannte dann langsam zum anderen Ende durch.
Der weiche Sand verschluckte seine ungleichmäßigen Tritte.
Am Ausgang wartete er ganz still
hinter einer Säule und sah, wie Strangman und Cäsar sich dem Thron näherten. In
der riesigen Hand des Mulatten wirkte die Machete wie ein Rasiermesser.
Strangman hob warnend die Hand, ehe er den Thron berührte. Er blickte ringsum,
betrachtete prüfend Straßen und Fensterreihen. Das Mondlicht ließ sein
schmales, weißes Kinn deutlich erkennen. Dann gab er Cäsar einen scharfen Wink
und stieß den Thron mit dem Fuß um.
Kerans hörte die Flüche der beiden,
zog sich hinter die Säule zurück und rannte auf Zehenspitzen in eine
Seitengasse, die in das Labyrinth des Universitätsviertels führte.
Eine halbe Stunde später bezog er im
obersten Stockwerk eines Bürohauses im Lagunenwall Stellung. Ein schmaler
Balkon umgab die Büroräume, auf der Rückseite führte eine Feuerleiter zu den
niedrigeren Dächern und verlor sich jenseits im Dschungel und den riesigen
Sandbänken darunter. Auf dem Plastikboden hatte sich aus den Hitzenebeln Wasser
kondensiert. Als Kerans die Innentreppe erklommen hatte, legte er sich erst
einmal auf den Boden, badete Wangen und Mund in der kühlen Flüssigkeit und
wusch seine wunden Handgelenke.
Niemand suchte nach ihm. Um seine
totale Niederlage nicht zugeben zu müssen, nahm Strangman die Flucht offenbar
als fait accompli hin und wollte wohl gar nicht mehr an ihn denken.
Wahrscheinlich vermutete er ihn bereits auf dem Weg nach Süden. Während der
Nacht hörte Kerans die Plünderer in der Stadt lärmen; jeder größere Fund wurde
mit großem Raketengeprassel signalisiert.
Kerans ruhte sich bis zur
Morgendämmerung in einer Wasserlache aus, er ließ seine zerrissene Jacke ganz
mit Wasser vollsaugen. Vor dem Hellwerden zwang er sich, aufzustehen, zog Jacke
und Hemd aus, stopfte sie in einen Spalt in der Wand, schraubte eine gläserne
Wandleuchte ab und schöpfte damit sorgsam sauberes Wasser aus den Laken im
unteren Stockwerk. Als er bereits etwa einen Liter beisammen hatte, kam die
Sonne über den östlichen Lagunenwall. Zwei Stockwerke tiefer jagte er eine
Echse in die
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