Karneval der Lust: Erotischer Roman (German Edition)
landete.
Nachdem sie die Sandalen angezogen hatte, rannte sie aufs Geratewohl in eine Richtung. Die Häuser kamen ihr alle sehr weitläufig und verschachtelt vor; baute man in Venedig in die Höhe, so in Istanbul ganz offensichtlich in die Breite. Die Stadt war still, stiller als sie es sich vorgestellt hatte. Oder lief sie in die falsche Richtung? Erst einmal brauchte sie ein Versteck, bei Tageslicht konnte sie weitersehen.
Zwei starke Arme umklammerten sie plötzlich von hinten. Knoblauchgeruch brannte in ihrer Nase.
»Seit du vom Dach gesprungen bist, folge ich dir.«
Von der Rede verstand sie nur ein Drittel, aber den Rest konnte sie sich zusammenreimen. Sie strampelte und trat dem Mann gegen die Schienbeine. Ihre tastenden Finger fanden den Griff seines Schwertes. Bevor sie es aus der Scheide ziehen konnte, traf eine Faust ihre Schläfe.
»Ich bitte um Entschuldigung«, hörte sie noch, danach schwanden ihr die Sinne.
Als Giuliana wieder zu sich kam, lag sie auf einer Pritsche ähnlich der in ihrem Schlafraum. Von dessen Annehmlichkeiten umgab sie allerdings nichts. Die Kammer war kahl, finster, klein, die einzigen Lichtstreifen fielen durch Schlitze im Mauerwerk, hoch unter der Decke und zu schmal, um auch nur eine Hand hindurchzuschieben. In einer Ecke stand ein Eimer für ihre Notdurft, in einer anderen einer mit Wasser. Ihr Plan war gescheitert, und sie wusste nicht einmal, was sie falsch gemacht hatte.
Sie hatte es verbockt. Zum Leibhaftigen mit allen Osmanen und zuallererst mit Basin Farhaad, sie sollten im Straßenstaub liegen und sich winden wie Würmer, immer in Furcht vor einem Fuß, der sie unter sich zermalmte. Sie stieß noch eine Reihe weiterer Flüche aus, schrie jedes Gossenwort, das sie kannte, gegen die Wände. Ob sie Venedig jemals wiedersehen würde? Im Augenblick hatte sie keinen neuen Plan für eine Flucht.
Als ihr die Puste und die Flüche ausgingen, sank sie mit dem Rücken gegen die kahle Steinbank. Sie schloss die Augen, und Amadeo Bragadin tauchte in Gedanken vor ihr auf, er lachte sie an und streckte eine Hand nach ihr aus.
Sie trug das nachtblaue Kleid, und gemeinsamen gingen sie zu einem Festessen. Die langen Tische bogen sich unter der Last der köstlichen Speisen. Alle Gäste trugen über ihren kostbaren Gewändern einfache schwarze Umhänge, die Frauen mit Goldflitter besetzte Halbmasken und die Männer solche mit Silber. Bei der Ankunft hatte jeder aus einem großen Korb eine ziehen müssen, und niemand saß im Kreise seiner Bekannten und Verwandten, sondern alle bunt durcheinandergewürfelt an langen Tischen. Es galt, sich zu amüsieren und seinen Liebsten zu finden oder jemand anderen.
Giuliana schaute sich verstohlen um. Sie saß zwischen zwei kräftigen Männern, beide hielt sie für mindestens so alt wie ihr Vater, und beide widmeten sich mit Feuereifer den Täubchen, die vor ihnen auf einer Platte lagen; die Knochen warfen sie einfach hinter sich. Keiner ähnelte Amadeo auch nur im Entferntesten. Ihr gegenüber saßen weitere Männer und Frauen, sie flüsterten und kicherten, aßen und tranken. Wenigstens zwei- oder dreihundert Personen bevölkerten den Raum. Wie sollte sie unter ihnen den Mann finden, nach dem sich ihr Herz sehnte?
Amadeo hatte ihr von diesem Maskenfest erzählt, das alle paar Jahre zum Ende des Karnevals stattfand. In allen fantastischen Einzelheiten hatte er ihr das Essen geschildert, aber der Höhepunkt waren die Spiele danach, wenn jedermann versuchte, seinen Partner zu finden. Dies sei der Tag im Jahr, in dem kein Mann eifersüchtig auf seine Ehefrau sein dürfe. Bis heute wusste sie nicht, ob es dieses Fest wirklich gab, oder ob er ihr einen Bären aufgebunden hatte.
Das Essen endete, als ein Fanfarenstoß alle aufschreckte. Eine Schar Diener eilte in den Saal, die meisten der unzähligen brennenden Kerzen wurden gelöscht, die Platten mit den Essensresten abgeräumt und Tische und Bänke an die Wand geschoben.
»Wir dürfen erst wieder raus, wenn jeder einen Partner gefunden hat«, bemerkte der kräftige Herr zu ihrer Rechten und schob sich noch schnell die letzten Reste seines Täubchens in den Mund.
Jemand kniff Giuliana in den Hintern, sie drehte sich um und erblickte einen lachenden Mund.
»Faustina?«, fragte der Mund.
Kichernd schüttelte sie den Kopf.
»Bekomme ich trotzdem einen Kuss?« Der Mann zeigte auf seine Wange.
Sie erfüllte seinen Wunsch. Er drückte auch geschwind seine Lippen auf ihre und wirbelte davon.
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