Karneval der Lust: Erotischer Roman (German Edition)
drehen, während sie überlegte. Da war keine Haarsträhne, ihr Haar steckte unter einer Kappe – sie war Giulio.
Dann hatte sie eine Idee. Mit flinken Strichen füllte sie die Umrisse, auf das Bild schaute sie dabei kein einziges Mal. Am Ende hatte sie die Bögen mit etwas gefüllt, das nur sehr vage Ähnlichkeit mit der Vorlage hatte. Rechts und links der Treppe begann eine Unterwasserlandschaft, verspielte Delfine und gierige Raubfische, dazwischen die eine oder andere Nereide, in einer Ecke erhob Neptun sein mächtiges Haupt und seinen Dreizack; es folgten ein Strand mit Fischerdorf, ein Fluss, ein Teich, eine Mühle sowie ein sehr kurzer Teil des Zypressenweges, ehe es ins Gebirge ging. Eine Burg klebte wie ein Vogelnest auf einem Felsen, darüber ein Gewitterhimmel. Die Landschaft bevölkerte sie mit Hirten, Fischern, einem Pilgerzug, einer edlen Dame auf einem weißen Zelter; zwei Streiter fochten ein Turnier um ihre Gunst aus, während auf der anderen Seite ein feindliches Heer aus dem Wald trat. In einem Dorf wurde eine Hexe hingerichtet und gleich daneben ein Kind geboren. Das war das ganze Leben, das sollten die Wände des Palazzo Bragadin zeigen, und das war eine Herausforderung an die Kunst ihres Vaters.
Für den Treppenaufgang hatte sie eine andere Idee zu Papier gebracht. Zwei Reihen würdiger Männer in prächtigen Gewändern und mit verschiedenartigen Hüten schritten die Treppe hoch. Die Gesichter hatte sie noch leer gelassen, und unter jedem hatte sie einen Platz vorgesehen, an den sein Name geschrieben werden sollte. Unter eine Figur hatte sie den Namen Ludovico Bragadin geschrieben, der Name ihres Auftraggebers. Die anderen sollten seine Vorfahren darstellen. Nach seinen Angaben und Bildern müsste sie die Skizze vervollständigen. Das war ein würdiges Entree in den Palazzo einer der angesehensten Familien Venedigs, es musste nur noch ihrem Vater und ihrem Auftraggeber gefallen.
Nachdem sie die Umrisse fertiggezeichnet hatte, schaute sie hoch, das Kinn in die Hand gestützt. Sollten sie unter einem Baum eine Schäferin mit ihrem Liebsten zeichnen? Ihre Gedanken wanderten zu der gestrigen Nacht zurück. Sie wusste, was Männer und Frauen miteinander taten, wenn sie von Liebe sprachen. Hatte der schöne Unbekannte das mit ihr vorgehabt? Sie war noch unberührt, und ein Schauer rieselte durch ihren Leib, gleichzeitig erinnerte sie sich an seine Hände auf ihren Schultern und seine Lippen auf ihren – die aufregenden Gefühle kehrten zurück. Neugier kam zur Scham hinzu. Wie wäre es, wenn ein Mann ihren Körper in Besitz nähme? Wäre sie hinterher eine andere?
Giuliana stellte sich vor, einen Mann ganz und gar nackt zu sehen und seinen Körper auf ihrem zu spüren. Aus der Küche drang lautes Töpfeklappern herüber und schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Sie seufzte. Den Fremden würde sie nicht wiedersehen. Schade und gleichzeitig gut, wenn sie in Venedig als Junge leben wollte, da durfte niemand ihr wahres Geschlecht kennen.
Sie wandte sich wieder ihrer Zeichnung zu, und mit wenigen Strichen entstand die Schäferin unter einem Baum. Sie blieb allein. Anschließend legte sie Farbflächen fest und schrieb hinein, mit welcher Farbe Glassmalti, so wurden Mosaiksteine aus farbigem Glas genannt, sie später gefüllt werden sollten. Dazu kramte sie in einem Musterkasten herum. Er war in viele kleine Fächer unterteilt, in denen die verschiedenfarbigen Smalti lagen. Sie hielt einige prüfend ans Licht, und immer wenn sie sich entschieden hatte, schrieb sie einen Namen in das entsprechende Feld auf der Skizze. Das war eine Arbeit nach ihrem Geschmack, bei der ihr Vorstellungsvermögen gefragt war. Es würde Il Sassos anspruchsvollstes Mosaik werden, Fehler durften sie sich nicht leisten.
Giuliana ordnete die Papierbögen so an, wie das Mosaik später im Palazzo Bragadin angebracht werden sollte. Mit schief gelegtem Kopf betrachtete sie ihr Werk. Viele Smalti in verschiedenen Farben wären nötig, die waren nicht billig, und manchmal kam es vor, dass ein Mosaik nicht zur Ausführung kam, weil der Auftraggeber das Geld nicht ausgeben wollte, um die notwendigen Smalti zu besorgen. Bei Ludovico Bragadin sollte das nicht passieren, die Auskünfte, die ihr Vater vor der Übersiedlung nach Venedig eingeholt hatte, hatten ihn als einen stinkreichen Patrizier und Pfeffersack beschrieben.
Voll Stolz betrachtete Giuliana die Skizzen, schob noch ein paar Mustersmalti hin und her, strich bei einigen
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