Karneval der Lust: Erotischer Roman (German Edition)
fresco genannt – bedeckt waren, ob Seidenkissen auf den Stühlen lagen und Wein und Obst serviert wurden. Ihr Schäfer der Nacht hatte bestimmt nie in seinem Leben einen derart schmucklosen Raum betreten, aber für einen Handwerker, einem Mann aus dem Volk, waren nackte Wände und einfache Schemel gut genug.
Das Licht im Raum wurde beim Eintritt Ludovico Bragadins noch heller. Das lag nicht allein an dem Leuchter mit den fünf brennenden Kerzen, den er mitbrachte und auf dem Tisch abstellte, sondern auch an seiner strahlenden Erscheinung. Er war kleiner als ihr Vater, und man sah ihm an, dass er in seinem ganzen Leben noch keinen Tag gedarbt hatte, denn unter seinem cremeweißen Wams wölbte sich ein stattlicher Bauch; Perlen und Schnüre auf dem Wams, schwarze Strümpfe und gleichfarbige Schuhe vervollständigten seine Erscheinung.
»Alvise Tasso, ich grüße Euch.« Seine Stimme klang voll und befehlsgewohnt. »Wen habt Ihr da mitgebracht?«
Sie verneigten sich vor Ludovico Bragadin, und als ihr Vater sich wieder aufrichtete, sagte er: »Das ist mein Sohn und Lehrling Giulio. Er hat die Skizzen gezeichnet.«
»So.« Bragadin beugte sich über den Tisch und betrachtete die Bögen, die Giuliana dort ausgebreitet hatte. Sie und ihr Vater beobachteten den Venezianer dabei. Giulianas Herz schlug bis zum Hals; sie wünschte, sie hätte energischer darauf bestanden, ihrem Vater die Wahrheit über ihre Zeichnung zu erzählen.
»Hier unten sind die beiden Bögen, deren Bilder bei der Treppe als erstes kommen, dann geht es weiter mit dem Motiv und diese hier …«, Il Sasso deutete auf weitere Bögen, »… zeigen, was oben im Flur verlegt werden soll.«
»So.« Bragadin schaute mit gerunzelter Stirn auf die auf dem Tisch gut ausgeleuchteten Skizzen. »Wo ist die Vorlage, die ich geschickt hatte?«
»Dort, Signore.« Giuliana zeigte auf die Ecke, wo das ungerahmte Bild im Schatten stand.
Mit einem strengen Blick zwang Bragadin sie, es zu holen und ins Licht zu halten.
»Mir scheint, die Skizzen geben nicht ganz das wieder, was ich als Entwurf geschickt hatte.«
»Sie sehen anders aus«, beeilte sich Il Sasso zu erklären, »weil sie nicht farbig sind, sondern in Flächen aufgeteilt. Die Zeichen bedeuten, welche Steine auf welcher Fläche verlegt werden sollen.«
»Es ist nicht das gleiche Motiv.«
»Was?« Il Sasso beugte sich dicht über die Skizzen.
Giuliana wurde warm unter ihrer Kleidung, und das lag nicht an den brennenden Kerzen. Der Arm ihres Vaters schoss vor und packte sie am Ohr.
»Papà.« Das war nun doch zu viel, schließlich war sie kein fünfzehnjähriger Bengel, sie war zwanzig, konnte lesen, schreiben und Latein. Er durfte sie nicht wie einen Gassenjungen behandeln.
All ihre Empörung hatte sie in dieses eine Wort gelegt und war zu Il Sasso vorgedrungen, denn er ließ ihr Ohr los, packte sie dafür am Oberarm und hielt sie so, als wollte er sie Ludovico Bragadin als Opfer anbieten. »Wenn etwas nicht nach Euren Wünschen ist, Signore, werden wir die Skizzen selbstverständlich ändern. Mit Lehrlingen hat man es nie einfach, erst recht nicht, wenn es sich um den eigenen Sohn handelt. Er wird es neu machen, ganz nach Euren Wünschen. Ich verspreche es Euch.«
Die Tür wurde geöffnet, und jemand trat in den Raum. Giuliana konnte nicht sehen, wer gekommen war, denn sie stand mit dem Rücken zur Tür. Ihr Vater hielt sie immer noch am Oberarm gepackt und entschuldigte sich ein ums andere Mal bei Signore Bragadin, versprach prompte Abhilfe. So unterwürfig hatte sie ihn noch nie erlebt. Er war Il Sasso , die venezianischen Patrizier sollten froh sein, wenn er ihre Mosaiken legte! Schlug sein schwindendes Augenlicht auf sein Gemüt?
»Was ist denn hier los?«
Diese Frage jagte Giuliana ein Schauder über den Rücken, nicht wegen der Worte, sondern weil sie die Stimme erkannte. Ihr Schäfer der Nacht. Am liebsten wäre sie aus dem Raum gerannt, aber damit hätte sie sich bis in alle Ewigkeit lächerlich gemacht. Sie war Giulio und durfte nicht bei der ersten Gelegenheit aus der Rolle fallen.
»Ich sagte gerade Eurem Vater, dass wir die Skizzen neu zeichnen, wenn sie ihm nicht gefallen.«
Ihr Vater wandte sich dem jungen Bragadin zu und verneigte sich. Giuliana blieb nichts anderes übrig, als es ihm nachzutun. Sie fühlte seinen Blick auf sich gerichtet, und als sie aufsah, durchfuhr es sie von Kopf bis Fuß und wieder zurück. Er war es wirklich, sie blickte geradewegs in sein patrizisches
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