Karneval der Lust: Erotischer Roman (German Edition)
Gesicht, und er sah genauso gut aus, wie sie sich ihren Schäfer der Nacht vorgestellt hatte – noch besser. In seinen blassblauen Augen konnte eine Frau ertrinken.
Sie war keine Frau, sie war Giulio, trotzdem konnte sie den Blick nicht von ihm abwenden. Er beugte sich über den Tisch, betrachtete die Skizzen. »Das ist gut. Das bringt Helligkeit und Freude in den dunklen Flur.«
»Es entspricht nicht meiner Vorlage.«
»Das ist die Vorlage?« Sein Blick huschte zwischen dem an der Wand lehnenden Bild und den Bögen auf dem Tisch hin und her. »Die Skizzen sind viel besser als dieses langweilige Bild.«
Giuliana schöpfte Hoffnung für ihren Entwurf, gleichzeitig klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Wenn sie ein Wort sagte, erkannte er ihre Stimme, entlarvte ihre Verkleidung, und ihr Vater verlor seinen Auftrag. Sie müssten zurückkehren nach Verona. In einer Stadt, in der alle Il Sasso kannten, konnte er sein schlechter werdendes Augenlicht nicht lange verbergen, und sie konnte dort nicht als sein Lehrling und Sohn auftreten. Jeder in Verona wusste, dass Il Sasso nur eine Tochter hatte. Damit es nicht so weit kam, durfte sie kein Hasenfuß sein. Er würde sie nicht erkennen, wenn sie ihre Stimme verstellte und sich wie ein Junge benahm. Sie stellte sich breitbeinig hin und kratzte sich im Schritt – das hatte sie Männer jeden Alters tun sehen.
»Das hier ist das ganze Leben, von der Tiefe des Meeres bis zu den Höhen des Himmels. Wie bist du darauf gekommen, es zu zeichnen, Junge?« Er musterte sie, sein Blick verharrte schließlich auf ihrer Hand, die immer noch zwischen ihren Beinen lag.
Verlegen zog sie sie fort. »Weil es das ganze Leben ist, Signore. Das gehört zu einem Haus wie dem Palazzo Bragadin.«
»Was weißt du von Häusern wie unserem? Dir wächst ja nicht einmal ein Bart. Du bist noch nicht trocken hinter den Ohren und schwingst große Reden.« Er wollte ihr unter das Kinn greifen.
Schnell drehte sie den Kopf weg. »Ich bin seit …« Vor lauter Schreck hatte sie mit normaler Stimme gesprochen. Sie räusperte sich und begann noch einmal, eine Oktave tiefer diesmal: »Ich bin seit vier Jahren Il Sassos Lehrling und zeichne inzwischen alle seine Skizzen. Wir haben in der Festung von Piacenza und im Palazzo Vecchio in Florenz gearbeitet.«
»Oh.« Der junge Bragadin tat beeindruckt.
»Aber die gesichtslosen Männer, die den Treppenaufgang zieren sollen. Was soll ich damit?«, mischte sich Ludovico Bragadin ein. Seine Stimme klang, als wäre er des ganzen Mosaiks überdrüssig, noch bevor der erste Smalti gelegt war.
»Es sollen Eure Ahnen sein, Signore«, sagte Giuliana schnell. »Die Gesichter müssen noch nach Bildern ergänzt werden, und auch die Namen muss ich noch drunterschreiben. Bisher steht nur Eurer auf der Skizze.«
Sie deutete auf die Stelle der Skizze.
Vater und Sohn beugten sich darüber.
»Das ist dein Bruder, dieser euer Vater, der Großvater. Und der …« Der junge Bragadin deutete auf eine Figur am Fuß der Treppe, »… ist der Begründer des Handelshauses Bragadin. Enzo Bragadin. Das ist fantastisch, nirgendwo sonst gibt es das in Venedig. Was sagst du, Padre, soll der Palazzo Bragadin mit einem Mosaik dieses Jünglings erstrahlen?«
Hatte er das Wort Jüngling eigenartig betont? Giuliana war sich nicht sicher.
»Dir gefällt es also, Amadeo?«
»Mir gefällt es, und der Zypressenweg, den du haben wolltest, ist auch da.« Er tippte auf eine Stelle der Skizzen.
Amadeo. Giuliana ließ sich diesen Namen auf der Zunge zergehen. Er passt zu ihm, fand sie – klang anschmiegsam und sanft, vermittelte aber auch, dass sein Träger hart sein konnte, wenn die Umstände es erforderten. Ein Name, wie für einen Schäfer der Nacht gemacht.
»Ich werde Euch jedes Mosaik legen, das Ihr wünscht, Signore Bragadin. Ein Zypressenhain ist ein sehr schönes Motiv für Euren Treppenaufgang«, versicherte Il Sasso .
»Ich muss meinem Sohn zustimmen. Der Entwurf Eures Burschen ist sehr gelungen. Ich akzeptiere ihn. Beschafft alles, was ihr benötigt und sagt mir, wann Ihr mit den Arbeiten beginnen könnt.«
Il Sasso schüttelte den Kopf. »Ich sagte Euch bereits bei unserem ersten Gespräch, Il Sasso kauft keine Glaskuchen für die Smalti. Giulio wird Euch eine Liste bringen, wo draufsteht, was wir benötigen. Sobald alles beisammen ist, können wir mit der Arbeit beginnen. Das Mosaik ist groß und kompliziert, es wird mindestens ein halbes Jahr dauern, es zu legen. Wir brauchen
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