Karneval der Toten
auf Truebloods Buch. »Sie haben ja hier – aus Gründen, die nur Ihnen bekannt sind – ein ganzes Buch voller Cloisonnéschmuck.« Jury blätterte darin herum. »Die Farben sind bunt zusammengewürfelt.«
O, dieser triumphierende Blick bei Lulu! »Hab’s Ihnen ja gesagt!«
Nachdem Jury ihr heimlich Recht gegeben hatte, ließ sie von den Erwachsenen ab, nahm sich Roy und machte mit ihm eine Art Hüpfspiel. Ihre Tante kam auf den Gartenweg heraus und rief herüber, sie solle ins Haus kommen.
»Also dann, bis bald«, rief sie ihnen über die Schulter zu.
»Bis bald«, brummte Melrose.
Jury lächelte und machte sich auf den Weg zum Cottage hinüber. »Kommen Sie, ich muss Ihnen ein paar Sachen erzählen.«
»Wehe, wenn die nicht gut sind.«
Jury warf seinen Mantel auf einen Sessel, setzte sich in einen korbgeflochtenen Schaukelstuhl und rückte das Kissen hinter sich zurecht. »Der Grund, weshalb wir solche Schwierigkeiten hatten, unser Opfer zu identifizieren, war der, dass die Frau gar nicht existierte.«
»Hm, nun ja, das kann eine erkennungsdienstliche Bearbeitung ja erheblich behindern. Was soll das heißen?« Melrose setzte sich hin und holte seine Zigaretten hervor, überlegte es sich dann aber anders und steckte die Schachtel wieder in die Tasche.
»Zunächst einmal kamen wir auf Georgina Fox, Scotts ehemalige Freundin. Nur existierte Georgina ebenfalls nicht. Eine Georgina gab es nicht. Der Name des Opfers war Lena Banks.« Jury erzählte ihm von seinem Besuch im Culross.
»Lena Banks.« Melrose ließ sich den Namen quasi auf der Zunge zergehen. »Wie passt die in das ganze Bild?«
»Über Viktor Baumann. Miss Banks ist beziehungsweise war seine langjährige Mätresse. Sie fing dann mit Declan Scott etwas an, als der nach dem Tod seiner Frau in Paris war. Da Lena Banks nichts mehr sagen kann, nur noch vielsagend schweigen, kann ich bloß spekulieren, dass sie für Viktor Informationen einholte.«
Melrose meinte: »Die dachten, Declan Scott wüsste, wo Flora war, was so viel heißt wie, sie wussten es nicht . Was außerdem heißt, dass das Kind von jemand anderem verschleppt wurde.«
»Richtig.« Jury lehnte sich gegen das Kissen zurück und schloss die Augen. »Der Kinderdieb.«
»Fangen Sie nicht auch noch damit an.« Diesmal fiel Melrose’ Entscheidung zugunsten einer Zigarette aus. Eine Zigarette als Denkhilfe.
»Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, witzig zu sein.«
»Flora wurde vor drei Jahren entführt.«
»Und ein halbes Jahr später stirbt Mary. Und ein Jahr danach trifft Declan Scott auf Lena Banks, alias Georgina Fox.«
»Was ist, wenn er lügt?«
»Declan?« Jury sah zu, wie sich der dünne Rauch aus der Zigarette seines Freundes in die Luft erhob. »Glaube ich nicht.«
»Das ist nun ein rein subjektives Urteil.«
»Ja, ich bin aber auch kein Richter am St. James’ Court. Ich kann so subjektiv sein, wie ich will.« Er ließ ein Lächeln aufblitzen, einaus, schnell wie per Lichtschalter.
»Sind Sie sich der Identität des Opfers denn wirklich sicher?«
»Ja. Wir haben Denny Dench alles vorgelegt, einem von Macalvies Lieblingsexperten in Knochenfragen. Der schaute sich Fotos von den beiden Frauen an und sagte, es sei ein und dieselbe Person. Dazu benutzte er ein Gerät, das Bilder miteinander abgleichen kann.«
»Okay, dann ist diese Lena Banks also das Opfer. Und nachdem das alles geklärt ist, wer zum Teufel hat sie dann umgebracht? Patricia Quint? Lord Warburton?«
Jury horchte auf. »Der Name kommt mir bekannt vor.«
»Henry James. So nenne ich den Kerl spaßeshalber.«
»Ist das nicht der, der die Erbin heiraten wollte? Wie heißt sie gleich?«
»Isabel Archer. Isabel Archer wollten sie alle heiraten.«
»Nehmen wir mal einen Verdächtigen aus Ihrer Liste – was wäre denn Warburtons Motiv?«
»Keine Ahnung. Patricia Quint hätte vielleicht ein Motiv. Irgendwie habe ich den Eindruck, sie will Declan Scott für sich haben.«
»Ach ja? Das kann ich mir aber bei jeder Frau vorstellen.«
Melrose nickte.
»Die Ermordete sah aber gar nicht aus wie Georgina, wieso sollte Patricia Quint sie dann umbringen?«, fragte Jury.
»Vielleicht wusste sie irgendwoher, wer diese Frau war.«
»Ziemlich unwahrscheinlich, wenn Scott selbst nichts ahnte.«
Melrose überlegte einen Augenblick. »Hätte die Banks nicht auch auf eigene Faust handeln können?«
»Schon möglich. Das hat Macalvie auch vermutet. Das wäre aber gefährlich gewesen.«
Melrose drückte seine
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