Karneval der Toten
fragte: »Lässt Mrs. Murchison die Mädchen wirklich so früh schon anfangen?« Sein Blick ruhte auf Rosie.
»Ja. Aber Rosie ist die jüngste. Ich, also, ich war sieben.« Wieder wurde Pansy knallrot, wie die Heizstäbe des dürftigen Elektroöfchens.
»Du bist seit zwei Jahren hier?« Jury bemühte sich um einen sachlichen Ton. Sie sollte sich nicht noch mehr schämen, als sie es sowieso schon tat.
Trotzdem schaute sie verlegen überall hin, nur nicht auf Jury. Dann sagte sie: »Samantha ist schon seit fünf hier. April seit drei. Länger als ich.«
»Also, jetzt hört zu. Rosie, hör du auch zu.« Rosie reckte das Gesicht aus dem Buch empor und tat geschäftig. »Wenn wir unten sind, will ich, dass ihr beide wieder in euer Zimmer geht und den anderen sagt, sie sollen ihre Mäntel anziehen -«
Pansy war verblüfft. »Die geben sie uns aber bloß, wenn wir rausgehen. Sie bewahrt die Mäntel irgendwo in einem Schrank auf. Wir gehen immer eine Viertelstunde in den Garten hinten raus. Da gibt’s keine Blumen. Aber einen hohen Zaun.«
»Passt Samantha auf euch auf?«
»Sie und dieser Eddie...« Sie sah aus, als wollte sie gleich ausspucken. »Die beiden bewachen uns. Sie sagen, wir sollen spielen, aber wir sitzen bloß rum. Spielsachen gibt es nicht, und wir sind sowieso zu müde. Also sitzen wir auf der Treppe oder stehen am Zaun. Das ist alles. Mehr machen wir nicht. Das ärgert Eddie. Ich weiß auch nicht, warum.«
»Die wollen euch nur kleinkriegen. Jetzt geben wir aber den Ton an. Habt ihr Decken auf euren Betten?«
Sie nickten.
»Dann sagt den Mädchen, die sollen sie mitnehmen und sich darin einwickeln, wenn sie draußen sind.«
Pansys Augen weiteten sich fassungslos, diesmal begriff sie. Ihr Mund mahlte heftig, doch sie brachte kaum etwas heraus. Sie sollten rausgehen, weg von hier? »Wie können Sie... wie können wir denn -?«
Jury zog seinen Dienstausweis hervor. »Ich bin Polizist.« Pansy schlug die Hände vors Gesicht und starrte ihn fassungslos an. Sogar Rosie hob fragend den Blick von ihrem Buch. »Draußen im Auto ist noch ein Polizist«, fuhr er fort. »Wir holen euch Mädchen hier heraus. Ihr kommt alle von hier weg, wenn ihr aufpasst und genau macht, was ich euch sage.«
Rosie wandte sich wieder ihrem Buch zu. In diese kurze, eisige Stille hinein sagte sie: »Ich glaub, ich will ein Eisbaby sein. Die schmelzen bloß.« Sie hielt inne und sah Jury fast flehend an. »Das ist besser als gestohlen werden.« Um Bestätigung für diese schwere Entscheidung heischend, sah sie Jury an.
»Und noch besser ist... keins von beiden.« Jury zog sein Mobiltelefon hervor und tippte die Nummer ein. »Warten Sie zehn Minuten, dann kommen Sie rein.« Er klappte das Telefon zu.
Beim Hinuntergehen zogen Pansy und Rosie auf der Treppe eine Schau ab: Pansy guckte verzweifelt und hielt sich die Arme vor den Bauch, Rosie tat recht gekonnt so, als würde sie weinen. Er hätte den beiden am liebsten Beifall geklatscht.
Mrs. Murchison, die am Fuß der Treppe stand, sah sich bei dem Anblick zu einem Lächeln genötigt. Sie versetzte Rosie einen leichten Klaps aufs Hinterteil und sagte: »Na, nu komm schon, Mädchen. Ist ja gut.«
Ohne Jury auch nur noch eines Blickes zu würdigen, zogen die beiden den Tisch vor, schoben die Tür zurück und gingen in ihr Gefängniszimmer.
Mrs. Murchison sagte: »Das war jetzt aber mehr als eine halbe Stunde, ich muss Ihnen also die ganze Stunde berechnen.« Sie strahlte übers ganze Gesicht, als er seine Brieftasche hervorzog und zwei Fünfzigpfundscheine zutage förderte. Dann fügte sie hinzu: »Das war es aber bestimmt wert.«
Jahrelange Berufserfahrung hatte Jury unglaubliche Selbstbeherrschung gelehrt. Andernfalls hätte er sie wohl auf der Stelle umgebracht. Er überreichte ihr die hundert Pfund. Die Transaktion war ihm wichtig, er wollte, dass Geld den Besitzer wechselte. Falls diese verdammte Sache vor Gericht überhaupt eine Chance haben sollte. Dann jedoch schmolzen seine Jahre der Selbstbeherrschung weg wie das Eisbaby. Er klappte seinen Dienstausweis auf und hielt ihn ihr unter die Nase.
» Was? Polizei?« Sie wich zurück. »Sie können doch nicht einfach so ins Haus hier. Wo ist Ihr Durchsuchungsbefehl? Sie haben mir keinen Durchsuchungsbefehl gezeigt -«
Er knallte sie gegen die Wand. »Das hier ist mein Durchsuchungsbefehl!«
Sie fuchtelte wild mit den Armen.
»Na, warten Sie, bis mein Anwalt – ich werde Sie wegen Körperverletzung anzeigen, warten
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