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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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dem Weg ein Stück weit, der vor lauter zerfurchtem Erdreich, hohem Gras, Unkraut und heruntergefallenen Ästen fast nicht mehr auszumachen war. Bisweilen kam er an einem Baum vorbei, dessen Stamm mit einem weiß aufgemalten X markiert war, und fragte sich, ob diese Bäume wohl gefällt werden sollten, damit der Weg wieder benutzbar wäre. Als er an der weiß bemalten Rinde herumzupfte, stellte er fest, dass die Farbe alt war und abblätterte. Wer auch immer damit begonnen hatte, diesen einst sicher ansehnlichen Weg auszuholzen, hatte dieses Vorhaben wohl längst wieder aufgegeben.
    Dabei wäre die Allee sehr hübsch gewesen und hätte zu einem Spaziergang geradezu eingeladen. Die Luft hier draußen war von einem Duft erfüllt, den Jury nicht recht zuordnen konnte. Es war wohl eher eine Mischung von Düften. Jury machte kehrt und ging zurück. Dabei stellte er sich den Weg in seiner ehemaligen Gestalt vor. Er konnte bestimmte Dinge intuitiv erfassen, war darin geübt, Umrisse und Muster zu erkennen, die nicht mehr eingehalten wurden, aber immer noch vorhanden waren, wie etwa Fußspuren in weicher Erde. Die weißen Kreuzchen, die geheimnisvolle Atmosphäre gefielen ihm. Er hatte den unwiderstehlichen Wunsch herauszufinden, was sich am anderen Ende des Weges befand und ob diese Bäume dem Untergang geweiht waren. Seltsam, dass die gesamte Gartenanlage hinter dem Haus von einem Landschaftsarchitekten neu gestaltet werden sollte, während der Bereich vor dem Haus offensichtlich unberührt bleiben und von dem schweigsamen, betagten Gärtner gepflegt werden sollte. Declan Scott wollte offenbar an der Vergangenheit festhalten oder an seinen eigenen Wurzeln, versuchte jedenfalls nach Kräften zu verhindern, dass sich etwas änderte.
    Eine undankbare Aufgabe, Mr. Scott, eine undankbare Aufgabe.

10
    Die Tür wurde ihm von einer Frau mittleren Alters geöffnet, deren gutes Aussehen allmählich verblasste und die offensichtlich wenig tat, um diesen Prozess aufzuhalten. Bis auf etwas zarten Lippenstift trug sie keinerlei Make-up, und der strenge Haarschnitt war für ihr kräftiges, kantiges Gesicht nicht gerade vorteilhaft. Wäre die wadenlange Schürze nicht gewesen, die sie mehr wie ein Laken um sich geschlungen denn als Schürze umgebunden hatte, hätte Jury sie eher für eine Verwandte oder Freundin des Hausherrn gehalten als für ein Mitglied des Hauspersonals. Das »Hauspersonal«, oder jedenfalls das, was er darunter verstand, war tatsächlich beträchtlich reduziert. Die Köchin fungierte gleichzeitig noch als Butler oder Hausdiener, welcher früher, in Zeiten von Kutschen und Karossen, mit einem vollen Stab von Hausdienern, Köchinnen und Dienstmädchen unerlässlich gewesen wäre. In Anbetracht der Größe und Eleganz des Landsitzes musste es früher einmal einen solchen Stab von Bediensteten gegeben haben, wenngleich das Anwesen heute womöglich nicht so »in Schuss gehalten« wurde wie einst, was auf die Frau, die hier nun vor ihm stand, ebenfalls zutraf.
    Nachdem er sich ausgewiesen hatte – unnötigerweise, denn sie wusste, wer er war -, sagte die Frau, sie würde Mr. Scott Bescheid sagen, dass er da sei, und ging davon. Jury wartete.
    Links und rechts vom Eingang gingen lange Wandelhallen ab. Weil die Frau Schuhe mit relativ hohen Absätzen trug, konnte Jury das Klacken hören, während sie die Wandelhalle zu seiner Rechten hinunterging und dann um die Ecke bog. Ziemlich opulent waren sie, diese Hallen mit ihren Marmorböden und nun, da die Schritte der Frau nicht mehr zu hören waren, auch sehr still. Nur eine Drossel hörte er draußen schlagen, während er dastand und ein wenig in der Eingangshalle herumschlenderte. Antike, wertvolle Möbel, wenn auch etwas abgenutzt. Der Wandbehang mit der Darstellung einer strammen, behelmten militärischen Gestalt hoch zu Ross wirkte ziemlich schäbig. An dem hohen, pelzverbrämten Helm und der Pferdemähne waren münzgroße Stücke des Samtstoffes abgewetzt, als hätte der Krieg zu lange gedauert, und Soldat und Pferd verblassten allmählich. Der Wandteppich hing über einem Schreibsekretär aus Mahagoni- und gebeiztem Ahornholz mit Goldprägung. Von dem Gold fehlten Stückchen, und an manchen Stellen war am Holz die Beize abgeschabt. Nichts wirkte hier, als würde man das Haus einfach verkommen lassen, es litt nur unter dem langsam nagenden Zahn der Zeit.
    Sie kam wieder und geleitete Jury quer durch die Eingangshalle in den Flur, aus dem sie gekommen war. Schließlich

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