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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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Neuigkeiten ging, hat sie sich auf dich verlassen. Das hat sie gesagt.«
    »Was denn für Neuigkeiten?«, fragte Jury verdutzt.
    Brendan lachte. »Alle möglichen Neuigkeiten. Aus London, was weiß ich. Sie hat es so ausgedrückt: ›Ach, wenn Richard doch käme und Neuigkeiten mitbrächte.‹ Ich weiß nicht genau, was sie meinte.«
    »Ich auch nicht«, sagte Jury bekümmert.
     
    Weil sein Zug erst um sechs ging, wollte er ein Taxi nehmen und zum Baltic Center auf der anderen Seite des Flusses fahren, wo er noch nie gewesen war – tatsächlich noch nie. Wo war er eigentlich gewesen in Newcastle, außer mit Brendan im Pub oder einmal mit den Kindern beim Weihnachtseinkauf? Vor langer Zeit. Das war ein Besuch, den er nie vergessen würde, nicht das mit den Kindern, sondern den Teil davor – Old Washington und Washington Old Hall. Helen Minton und die größte Liebe auf den ersten Blick. Wenn er daran dachte, wurde er immer noch rot. Lange gehalten hatte es nicht, was, Kumpel? Old Hall. Es dünkte ihn höchst merkwürdig, dass George Washingtons Vorfahren aus einem kleinen Dorf kamen und zwar direkt neben einem anderen namens Washington, mit seinem halben Dutzend Pubs entlang der einzigen Straße. Wo man gern witzelte, das auf dem Fußboden des Pubs seien keine Sägespäne, sondern die Überreste der Möblierung nach der Schlägerei am Vorabend. Handgreiflichkeiten waren offenbar an der Tagesordnung, aus Frust und Wut über die Misere der Arbeitslosigkeit schlug man sich eben.
    Inzwischen saß Jury im Taxi und blickte hinaus auf den Tyne und die eindrucksvollen Brücken, die den Fluss überspannten. Sie konnten es bestimmt mit New York aufnehmen, mit diesen Brücken, die Manhattan und Brooklyn und den Rest miteinander verbanden.
    Der Fahrer konnte offenbar Gedanken lesen: »Sehn Sie die neue Millennium-Brücke, die da gebaut wird? Na, das wird’n Knüller, wenn die mal fertig is.« Er deutete in die Ferne, wo riesige Kräne auf dem Fluss zu treiben schienen. »Das haut einen doch glatt um, das Ding. Damit stechen wir jede andere Brücke auf der Welt aus. Wissen Sie, wie die mal funktionieren soll?« Der Fahrer versuchte, Jurys Blick im Rückspiegel zu erhaschen.
    »Nein. Ich weiß gar nichts darüber.«
    »Wie so’n Augenlid, wie ein Augenlid, was langsam aufgeht.«
    Jury lächelte. »Kann ich mir gar nicht vorstellen.«
    »Also, die geht in Schräglage. Die ganze Brücke geht in Schräglage, damit die Schiffe durch können. ›Das zwinkernde Auge‹ heißen sie das.«
    Jury überlegte, was für einen Akzent er hatte. »Sind Sie aus dem Süden?«
    Das fand der Fahrer nun aber witzig. »Ach, was... County Durham, da komm ich her. Schon mal da gewesen? In Durham?«
    Jury schloss die Augen. Wieder Helen Minton. Wieder kam eine Erinnerung schneller als das Ende der Brücke auf ihn zugerast. Jerusalem Inn. Er fragte sich, wie es kam, dass zwei Menschen... Jury schüttelte den Kopf. Konnte man ein Kapitel seines Lebens je unwiederbringlich schließen? Oder abschreiben?
    »Da wär’n wir, Kumpel.«
    »Eine Riesenanlage«, sagte Jury beim Aussteigen.
    »Ganz schön riesig, stimmt. War selber noch nie drin. Aber ich denk mir, die Einheimischen sind doch eh immer die Letzten, die man wo sieht.«
    »Da haben Sie Recht.« Er gab ihm das Fahrgeld und ein üppiges Trinkgeld.
    Daraufhin hoben sich die Augenbrauen des Fahrers so, wie Jury sich vorstellte, dass die Millennium-Brücke sich heben würde. »Sagen Sie, wie weit ist es von hier bis zum Bahnhof von Newcastle?«
    »Zum Hauptbahnhof? Ach, zu Fuß schaffen Sie das in einer Viertelstunde. Is überall ausgeschildert. Können Sie gar nich verfehlen.«
    Jury staunte über das Baltic Center, besonders über dessen schiere Dimensionen. Laut Lageplan war die Anlage in diverse »Ebenen« aufgeteilt und beherbergte mehrere Restaurants, ein Kino und Künstlerateliers, vor allem aber natürlich – die Kunst.
    Jury merkte, wie unbeholfen er sich zwischen den abstrakten, kaum zu beschreibenden Gemälden und seltsamen Installationen umherbewegte. Er kam sich altmodisch vor mit seiner Vorliebe für Millais und Rossetti, nach deren Bildinhalten man sich verzehrte und die einem irgendwie etwas gaben. Dabei fragte er sich allerdings, ob das Gefühl, das er verspürte, mit der Leere der heutigen Kunst zu tun hatte oder aber mit seiner eigenen, und schenkte sich daraufhin jeden weiteren Blick auf die Gemälde. Er ging eine Ebene höher hinauf, um vom Beobachtungsraum aus einen Blick über

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