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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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hatte.
    Von der Zeremonie am Grab bekam Jury eigentlich wenig mit, weil seine Gedanken in die Kindheit entflohen, soweit er sich überhaupt an sie erinnern konnte, in die Zeit, nachdem sein Onkel ihn damals aus dem Waisenheim geholt hatte. Seine Tante und sein Onkel hatten in Suffolk gewohnt, oder »Suffkopp«, wie eine Horde von ungebärdigen Halbwüchsigen die Gegend getauft hatte. Einer von diesen Jungen war ein viel älterer Bruder seiner Cousine gewesen, der ihn kaum beachtet hatte – Jury fragte sich, was wohl aus ihm geworden war. Der hatte ihm bloß ab und an zugenickt und ihn gemustert, als wüsste er nicht recht, woher er ihn kannte. Wohin es den wohl verschlagen hatte? Vielleicht war er auch schon tot.
     
    Der Empfang (stellte Jury erleichtert fest) fand dann nicht im Pub statt, sondern in einem düsteren alten Hotel unweit der Kirche. Weil Brendans Wohnung für so viele Leute nicht in Frage kam, war man hierher ausgewichen. Der Raum, in dem man sich versammelt hatte, war vermutlich ein ehemaliger Ballsaal, der heutzutage für solche Anlässe genutzt wurde oder für Hochzeitsempfänge (die seltsame andere Seite der Medaille), für Konferenzen und Zusammenkünfte aller Art. Er fragte sich, mit wem oder wozu man in Newcastle wohl zusammenkommen wollte.
    Newcastle. Es war vermutlich eine recht angenehme Stadt, wenn man nicht nur das eingeengte Spektrum von Tod und Arbeitslosigkeit betrachtete. Ihm war die Stadt immer wie ein kalter grauer Steinhaufen vorgekommen, den die meisten Leute nur allzu gern hinter sich ließen. Sarah hätte bestimmt dazugehört.
    »Ach, Sie sind doch der, von dem sie immer erzählt hat!« Er drehte sich um und sah eine rundliche Frau mit einem Strohhut, auf dessen Krempe eine Papierblüte saß. Während sie redete, wippte die Blüte auf und ab.
    »Ich bin der Polizist, wenn Sie das meinen.« Er versuchte zu lächeln, ließ es dann aber bleiben.
    »Und ob ich das meine. Ach, was hat sie große Stücke auf Sie gehalten. Hat sogar ein Foto von Ihnen aufgehängt« – die Frau deutete ans andere Ende des Büfettischs hinüber, wo auf einer Staffelei eine große Sammlung von Fotos und Schnappschüssen angebracht war – »und die Zeitungsberichte über Ihre Fälle. Sollten Sie sich mal ansehen.« Als hätte sie damit eine Mission erfüllt, schnappte sie sich daraufhin einen kleinen Kuchen und fing an zu mampfen. »Aber sie war natürlich bloß Ihre Cousine. Hätte schlimmer sein können.« Mit dieser ernüchternden Mitteilung wandte sie sich ab und ging davon.
    Sie hatten am Büfett gestanden, wo Sandwiches und kleine Kuchen aufgebaut waren. Er trank Punsch, den irgendjemand dankenswerterweise mit gut einem Liter irischem Whiskey angereichert hatte. Babyfotos, Hochzeitsfotos, Fotos von einem Urlaub am Meer, als die Kinder noch klein waren. Geburtstage, Jahrestage, sogar Zeitungsausschnitte, überraschenderweise über Jury persönlich, darüber sein Foto. Inspector, dann Chief Inspector. Das war einige Jahre her. Brendan hatte also doch die Wahrheit gesagt: Sie musste stolz gewesen sein auf ihn und seinen Job.
    Brendan kam herüber und legte Jury die Hand auf die Schulter. Er war betrunken oder jedenfalls inzwischen auf dem besten Weg dazu.
    Jury sagte zu ihm: »Ein Haufen Leute, Brendan. Wenn wir doch nur alle so gut in Erinnerung blieben! Aber weißt du, ich war doch ziemlich überrascht, dass Sarah nicht katholisch geworden ist.«
    Brendan lachte. »Ach was, meine Sarah doch nicht! Sie hat immer gesagt, hier in diesem gottverlassenen Newcastle würde sie zwar wohnen, aber verdammt wollte sie sein, wenn sie deshalb ihren Glauben wechseln würde.«
    Brendan deutete auf die Fotocollage. »Das hat sie alles ausgeschnitten, manchmal die gleiche Geschichte aus zwei verschiedenen Zeitungen. Sie hatte eine ganze Schuhschachtel voll mit Zeitungsausschnitten.«
    Es war albern, aber Jury merkte plötzlich, dass er sich über Sarah ärgerte. »Wir hatten ja offenbar unterschiedliche Erinnerungen. Und es machte ihr anscheinend Spaß, extra darauf hinzuweisen.«
    »Herrje, Mann. Letztes Mal, als du hier warst, hab ich dir doch schon gesagt, dass sie dich bloß verarschen wollte. Schau dich doch an. Du hättest es in deinem Job nie bis nach ganz oben geschafft, wenn du Leute nicht richtig einordnen könntest. Warum schaffst du das bloß bei ihr nicht?«
    Jury wusste nicht recht, was er sagen sollte.
    Brendan fuhr fort: »Sie dachte, du hättest sie im Stich gelassen, Richard. Weißt du, wenn’s um

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