Karneval der Toten
beeindruckender Klotz aus rotem, verblasstem Backstein. Neoklassizistisch, so wie es aussah. Nicht minder eindrucksvoll war die Buchenallee, die sich die kurvige Auffahrt hinauf zum Haus wand.
Er nahm seinen Schweinslederkoffer und trat an die Haustür.
Diese wurde ihm ziemlich rasch von einem kleinen Mädchen unbestimmten Alters geöffnet. Besser gesagt: Sie mochte sich ihres Alters gewiss sein, er war es jedoch nicht. Er konnte es nie genau sagen. Sie war einfach sehr jung, hatte braunes Haar, so dunkel, dass es fast schwarz wirkte, und trug eine nicht besonders schmeichelhafte Brille. Das Begrüßungskomitee wurde noch von ihrem Hund vervollständigt, der, wie Melrose erfreut feststellte, nicht automatisch auf Bellfunktion geschaltet war, also keiner von diesen Hunden, die einfach losbellten, sobald irgendetwas geöffnet wurde – eine Tür, ein Fenster, eine Packung Essbares, egal, ob sich auf der anderen Seite jemand Gefährliches befand oder nicht.
»Sind Sie wegen dem Garten da?«
»Ja, bin ich. Dein kleiner Hund gefällt mir.«
»Der heißt Roy.«
»Seltsamer Name für einen Hund.«
»Es ist aber nicht der ›Roy‹, an den Sie denken.«
»Habe ich denn an einen Bestimmten gedacht?«
»Es bedeutet ›König‹ oder ›Euer Hoheit‹ und wird R-o-i buchstabiert. Das ist französisch, aber weil es niemand richtig ausspricht, hab ich eben Roy draus gemacht.«
Es kam ihm so vor, als sei die Temperatur um zehn Grad gesunken, seit er dort stand, aber vielleicht war es auch einfach der Effekt einer Melrose-Kind-Begegnung. Hoffentlich hatte er hier keine weitere Debbie-Polly vor sich, sonst säße er eine Woche lang an der Tür fest. »Hör mal, könnten wir diese Diskussion vielleicht drinnen fortsetzen? Bevor wir die ganze Französische Revolution durchnehmen?«
Widerwillig (so kam es ihm vor) hielt sie die Tür auf.
»Schönen Dank auch.« Man sollte seinen Sarkasmus nicht an Kinder verschwenden, sagte er sich immer wieder. »Eins muss ich deinem Hund zugestehen – er bellt nicht.«
»Hat er auch nicht nötig.«
Diese unergründliche Erklärung machte Melrose einigermaßen ratlos.
»Sie sollen in die Küche kommen, Tante Rebecca macht gerade Mittagessen.«
Er folgte seiner Führerin aus dem schönen Marmoreingang in ein ebenso schönes Esszimmer. Schön, fand Melrose, weil es benutzt aussah, auf angenehme Weise benutzt. Die Ahnenporträts (falls es welche waren) wirkten nicht so aufdringlich wie solche Porträts normalerweise. Alle darauf Abgebildeten sahen aus wie bei irgendeiner Tätigkeit ertappt, und diese Spontaneität hatte der Maler eingefangen, außer bei einer militärisch aussehenden Gestalt hoch zu Ross.
»Wer ist Tante Rebecca?«
»Meine Tante.«
»Darauf wäre ich auch gekommen. Ist sie auch noch etwas anderes?«
»Sie kümmert sich um mich, seit meine Mum und mein Dad gestorben sind.«
(Oje, das hörte sich ja bekannt an. Würde er jetzt jedes Wort auf die Goldwaage legen müssen?)
»Sie ist hier die Haushälterin.«
Sie hatte sich durch eine Schwingtür gedrückt, und er hob rasch die Hand, damit diese ihm beim Zurückschwingen nicht ins Gesicht knallte.
Die Küche war riesig, eine der größten Küchen, die Melrose außer in einem Hotel je gesehen hatte. An einer Wand entlang verlief eine Fensterreihe, was dem Raum die Atmosphäre eines Treibhauses verlieh und Licht auf einen für drei Personen gedeckten, langen Kiefernholztisch strömen ließ.
»Er ist da«, sagte das Mädchen. »Das ist er.« Nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatte, setzte sie sich an den Tisch.
Bei der Frau, die sich auf diese Ankündigung hin umdrehte, handelte es sich um Rebecca Owen, vermutete Melrose. Sie schien überrascht. »Lulu, ich sagte dir doch, du sollst mich holen, wenn Mr. Plant angekommen ist!« Sie wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und sagte: »Entschuldigen Sie bitte. Ich bin Rebecca Owen, die Haushälterin von Mr. Scott. Er musste unerwartet weg und bat mich, dafür zu sorgen, dass Sie es bequem haben. Er kommt am Nachmittag zurück, so um die Teezeit.«
Melrose vernahm mit Freuden, dass er sich in einem Hause aufhalten würde, wo noch das rituelle Teestündchen abgehalten wurde. Ihm wurde ganz warm ums Herz.
Sie wandte sich um und nahm einen Teller mit Sandwiches. »Ich dachte, Sie möchten vielleicht etwas zu Mittag essen.«
»Das ist sehr nett von Ihnen. Wissen Sie, eigentlich hätte ich gern einen Kaffee.«
»Auch das haben wir. Wenn Sie sich bitte setzen
Weitere Kostenlose Bücher