Karneval der Toten
ist für meine Cousine.
Er sah zu, wie sich der dünne Rauchstrahl an die Decke schlängelte und hörte, wie Stones Schwanz über den Boden wischte.
Wie etwas fast Gesagtes.
3
Die Tote lag auf einer Steinbank in einer steinernen Nische, die dem Unterstand an einer Bushaltestelle ähnelte, in den man sich bei schlechtem Wetter flüchtet. Auf den ersten Blick hätte man meinen können, sie habe dort tatsächlich auf den Bus gewartet und sei einfach umgefallen, mit dem Oberkörper auf die Bank, die Beine weggeknickt, die Füße auf dem steinernen Boden schleifend.
Der Unterstand befand sich am anderen Ende des weitläufigen Gartens von Angel Gate. Der Garten, im Laufe der Jahre arg vernachlässigt, wurde gerade restauriert und neu gestaltet, und so hielten sich an diesem frühen Morgen bereits der Obergärtner und seine Tochter, eine Gartenbauexpertin, dort auf. Sie waren es auch, die die Leiche entdeckten. Als Nächste traf die Haushälterin ein. Eifrig versorgte sie das Gartenteam aus Vater und Tochter mit Tee und bot später auch den Polizisten eine Tasse an, die aus Launceston und Exeter eingetroffen waren.
Brian Macalvie, Divisional Commander der Kripo von Devon und Cornwall, hatte die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Etwa zwei Dutzend Tatortspezialisten und Spurensicherer aus Launceston sowie Macalvies Leute aus Exeter standen in der Gegend herum. Reglos und schweigend hatte Brian Macalvie geschlagene zwei Minuten auf die Tote hinuntergestarrt (»was einem eigentlich gar nicht lange vorkommt«, hatte einer seiner Kollegen von der Spurensicherung bei einem Glas Bier im Dorfpub zu einem Freund gemeint, »aber mach das erst mal. Das kommt einem wie eine kleine Ewigkeit vor«).
Diejenigen, die in unmittelbarer Nähe von Macalvie standen, waren so starr wie die Leiche selbst. Keiner durfte etwas berühren, bis Macalvie vollständig fertig war. Das ärgerte den Arzt, der zum Tatort gerufen worden war (ein Ortsansässiger ohne vorsorgliche Einweihung in die seltsamen Methoden des Divisional Commander). Er hatte sich in Richtung Leiche bewegt und war von Gilly Thwaite, der leitenden Tatortspezialistin, unsanft am Mantelärmel zurückgezerrt worden.
»Meine Güte«, sagte der ahnungslose Arzt, »das hier ist ein Tatort und keine Beerdigung. Ich habe schließlich noch andere Termine.«
Die anderen neun oder zehn Polizisten kniffen wie von plötzlichen Kopfschmerzen befallen die Augen zusammen und starrten in den schiefergrauen Himmel, während Macalvie sich dem Doktor zuwandte. Der war zwar nur ein praktischer Arzt aus Launceston, sollte aber ausreichen (wie außer Macalvie alle dachten), um die Leiche fürs Erste zu untersuchen und den Totenschein auszustellen. Der Mediziner aus Launceston, den Macalvie mochte, war nicht verfügbar gewesen.
»Dann drehen wir sie doch wenigstens um«, sagte der Arzt. Beißend fügte er hinzu: »Ich glaube, auf dieser Seite ist sie schon durch.«
Gilly Thwaite stieß einen kehligen Laut aus. Hier und da war unterdrücktes Gelächter zu vernehmen. Macalvie legte keinen gesteigerten Wert auf Galgenhumor.
Macalvie nickte Gilly zu. »Legen Sie los.« Gilly stellte ihre Kamera auf, legte Plastiktüten für das Beweismaterial zurecht und fing an, Fotos zu machen.
In dieser »wundersamen Stille« (wie er es oft nannte) richtete Macalvie den Blick wieder auf die Leiche. Die Frau schien etwa mittleren Alters zu sein, eher jünger. Aber Eindrücke können täuschen, sie hätte auch älter sein können. Er schätzte sie am einen Ende der Altersspanne auf Ende Dreißig, am anderen auf Anfang Fünfzig. Die gewaltige Divergenz machte ihn stutzig. Sie war ziemlich unscheinbar, hatte ein ungeschminktes Gesicht, soweit er sehen konnte. Vielleicht ein wenig Make-up-Unterlage oder Puder. Aber kein Augen-Make-up. Ihr muffig braunes Haar war stumpf zu einem glatten Pagenkopf geschnitten und würde ihr – wenn sie aufrecht säße – knapp die Ohren bedecken. Ihr Kostüm hatte die gleiche Farbe wie ihr Haar. Es war ziemlich abgetragen und nicht besonders modisch, ein klassischer Schnitt vielleicht, zeitlos, aus grobem Tweed. Macalvie warf noch einen letzten Blick auf die Tote und wandte sich dann dem Arzt zu. »Sie dürfen.« Als der Arzt mürrisch brummend in die abgesperrte Nische trat, meinte Macalvie: »Für die Frau hier ist es eine Beerdigung.«
Dann wandte er sich ab und sah zu dem großen Haus hinüber, Eigentum der Familie Scott, oder jedenfalls derer, die davon noch übrig
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