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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
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Lady. Lena Banks ist die Ermordete.«
    Wiggins war sprachlos. »Also, jetzt wo wir wissen, wer sie ist – wer hat ein Motiv?«
    »Jeder.« Jury gähnte erneut.
    »Wie bitte?«
    »Das werde ich Ihnen morgen erklären, oder haben Sie vor, weiter das Bett zu hüten?«
    »Ich bin bestimmt wieder auf der Höhe.«
    »Gut.« Jury nahm das Buch vom umgeschlagenen Laken über Wiggins’ Brust. »Wieder so ein Polizeiroman aus dem Siebenundachtzigsten Revier?«
    »Ein ganz früher. Ich finde es am besten, man fängt wieder ganz am Anfang an und lernt erst mal die Hauptfiguren kennen.«
    Jury hatte die Seite aufgeschlagen, auf der sämtliche Folgen der Reihe aufgelistet waren. »Ach du Schreck, der hat ja Unmengen geschrieben. Wenn Sie sich vom Anfang her vorarbeiten wollen, brauchen Sie ein zweites Leben.« Hatte er vielleicht schon, dachte er beim Blick in Wiggins’ bleiches, vorwurfsvolles Gesicht und die schmachtenden Augen.
    »Es kann nicht schaden zu begreifen, wie die Polizei dort drüben arbeitet.«
    »Bei allem Respekt vor Mr. McBains Bullen-Shop, aber wir sind nun mal nicht dort drüben. Wir sind hier drüben.«
    »Engstirnigkeit hat einen noch nie weitergebracht«, meinte Wiggins daraufhin salbungsvoll.
    »Hamlet hätte Sie unendlich viel weitergebracht. Wie kommt es eigentlich, Wiggins, dass Sie jedes Mal anfangen zu predigen, wenn bei Ihnen was im Anzug ist?«
    »Ich finde eigentlich gar nicht, dass ich predige. Es liegt wohl daran, dass ich dann mehr Zeit zum Nachdenken habe. Würde Ihnen übrigens auch gut tun.«
    »Was? Nachdenken?« Halb sitzend, halb liegend stützte Jury sich mit den Schultern am Fußteil des Bettes ab und würde bei der nächsten Bemerkung von Wiggins einschlafen.
    »Nein, natürlich nicht. Nachdenken tun Sie schon genug. Nein, ein bisschen ausruhen könnte Ihnen nicht schaden. Und vielleicht mehr lesen. Das beruhigt. Ein gutes Buch hat so eine gewisse wärmende Wirkung.«
    Er hielt die Hände fast andächtig über Ed McBain gefaltet.
    »Das letzte Buch, das ich gelesen habe, war von Emily Dickinson. Sie ist alles andere als beruhigend. Ich glaube, sie hat ihr ganzes Leben mit Sterben verbracht.«
    Wiggins runzelte die Stirn. »Wieso hat sie sich dann die Mühe gemacht?«
    »Womit?«
    »Mit dem Schreiben von Gedichten. Ich meine, wozu sich aufregen?«
    Jury suchte eine gute Antwort darauf und fand keine. Doch wie Wiggins soeben gesagt hatte, wozu die Mühe? »Haben Sie Emily Dickinson in der Schule gelesen? Ich ja, kann ich mich erinnern.«
    »Nein. Für solche Dinge hatten wir keine Zeit. Für unpraktische Dinge.«
    »Sie hat sich eine Kunstfigur geschaffen, eine gewisse Pose, um das sagen zu können, was sie sagen wollte. Eine ihrer Lieblingsposen war das unschuldige Kind, dem man noch nichts eingeimpft hatte.«
    »Sie meinen, es hatte seine Schutzimpfungen noch nicht bekommen?«
    Mittlerweile hatte Jury eine gewisse Kunstfertigkeit darin entwickelt, auf einen Großteil von Wiggins’ Bemerkungen einfach nicht einzugehen. »Ich meine, ein Kind, das Fragen stellt oder ganz unbewusst reagiert. ›Wann ist endlich morgen?‹ So in der Art. Kinder können Fragen stellen, die Erwachsene sich nicht zu fragen trauen, weil wir nicht zugeben wollen, dass wir Angst haben und die Antworten eigentlich gar nicht hören wollen.«
    »Na, wir aber doch schon. Wir sind doch zuallererst einmal Polizisten und wollen natürlich die Antworten hören. Ich jedenfalls ganz bestimmt.« Womit er andeutete, dass Jury der Wahrheit nicht immer ins Gesicht sah.
    »Man begreift einfach, wie gefährlich die Welt ist.« Inzwischen lag Jury quer über das untere Bettende (Wiggins hatte seine Füße deswegen anders platzieren müssen, was ihm gar nicht recht gewesen war), den Kopf in die Hand gestützt. » Wenn ich nicht am Leben sein sollte / Wenn die Drosseln kommen, / Gib der einen in roter Krawatte / Einen Erinnerungskrumen. « Ach Gott, ist das traurig! Das meinte ich vorhin: Sie hat es die ganze Zeit mit dem Sterben.«
    »Seit Sie angeschossen wurden, haben Sie einen Hang zum Morbiden...«
    Stimmt vielleicht, dachte Jury. Wenig hilfreiche Emily.
     
    Das hartnäckige Klingeln des Telefons hielt Jury irrtümlich für die Lerche, die Emily Dickinsons Vorschlag gemäß gespalten werden müsste, um die Töne zu finden. Statt des üblichen Brrr-Brrr trillerte das Telefon geradezu.
    Unbeholfen tastete seine Hand nach dem Hörer und hob ab. »Ja?«
    »Auf, auf, auf, Jury.«
    »Hallo, Macalvie. Wie spät ist es? Vier Uhr

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