Karparthianer 01 Mein dunkler Prinz
Jacques leise. »Ich habe im Dorf verbreitet, dass Raven und du für einige Tage verreist seid.
Du bist bei den Leuten sehr beliebt, und alle sind von dem Vorfall entsetzt.«
»Können wir die Gefahr für unser Volk abwenden?«, fragte Mikhail
»Wir können sie eingrenzen«, antwortete Gregori aufrichtig. »Aber Romanov hat bereits seine Beweise an einige andere Fanatiker geschickt. Wir müssen uns darauf gefasst machen, verfolgt zu werden. Unsere Lebensweise wird sich für immer verändern müssen.« Gregori zuckte die Schultern.
»Seine Beweise?«
»Fingerabdrücke, Fotos. Er stand bereits unter dem Einfluss von Medikamenten, als ich ihn erreichte. Die Ärzte halten ihn für verrückt und gemeingefährlich. Die Erinnerungen, die ich in seinen Gedanken gesehen habe, waren wirr und undeutlich. Sie kreisten um seine Eltern, insbe-sondere seine Mutter - offenbar hat er ihre Leiche gefunden
-, dein Haus, um seine Schuld, um das Feuer.« Gregori ließ seinen Blick über den Himmel schweifen. Außer dem silbrigen Glitzern seiner hellen Augen gab es keine Regung in seinen markanten Zügen.
Gregori strahlte große Macht aus. Selbst seine Haltung zeugte von Stärke. Obwohl sein Gesicht nichts verriet, spür-te Mikhail deutlich Gregoris dunkle Seite, das wilde, unbe-317
zähmbare Raubtier, das unter der Oberfläche lauerte und darauf wartete, endlich ausbrechen zu können. Ihre Blicke trafen sich und verrieten Hoffnungslosigkeit, Resignation.
Eine weitere Schlacht lag vor ihnen. Wieder waren sie gezwungen, Leben zu nehmen. Je öfter ein Karpatianer töten musste, desto größer wurde die Verlockung der abso-luten Macht, desto lauter wurde das Verlangen danach, sich zu einem Vampir zu wandeln. Allein die Anwendung von Gewalt ermöglichte es einem Karpatianer, für kurze Zeit etwas zu empfinden. Und diese Versuchung bedeutete einen schrecklichen Kampf für die Männer, deren Leben trostlos und leer war.
Gregori wandte sich ab, um nicht das Mitgefühl in Mikhails Blick aushalten zu müssen. »Wir müssen seine Beweise entkräften.«
»Das Wichtigste ist, dass Raven in Sicherheit gebracht wird, während wir uns dieser Sache annehmen«, erwiderte Mikhail fest.
»Deine Gefährtin ist sehr schwach«, warnte Gregori sanft.
»Befreie sie aus der Erde und bekleide sie, bevor ich sie aufwecke.«
Mikhail nickte. Gregori schien seine Gedanken zu erraten.
Keinesfalls durfte Raven in der Erde erwachen, die sie einzig als erdrückendes Grab empfand. Jacques und Gregori zogen sich in den Wald zurück, um Mikhail mit seiner Gefährtin allein zu lassen. Erst, als Raven sicher in seinen Armen lag, dachte Mikhail daran, ihr ihre Lieblingskleidung anzuziehen. Da alle Karpatianer dazu in der Lage waren, Dinge aus Naturmaterialien zu schaffen, kleidete Mikhail sie in Jeans und eine langärmelige Bluse. Gregori.
Raven erwachte hustend, griff sich an die Kehle und bemühte sich, ihre Lungen mit Luft zu füllen. Sie war verwirrt, ängstlich und unsicher. »Spüre die Luft auf deiner Haut«, bat Mikhail leise. »Spüre die Nacht, den Wind. Du 318
bist in meinen Armen sicher. Die Nacht ist wunderschön.
Die Farben und Gerüche sprechen zu uns.«
Ravens Blick glitt ziellos umher, ohne dass sie etwas wahrgenommen hätte. Sie atmete tiefein und kauerte sich auf dem Boden zusammen. Die kühle Nachtluft zeigte langsam ihre Wirkung und löste das schreckliche Gefühl des Erstickens auf. Tränen schimmerten in Ravens tiefblauen Augen und hingen wie winzige Tautropfen in ihren Wimpern.
Mikhail zog sie fester an sich, damit sie die Wärme und Stärke seines Körpers spüren konnte. Unendlich langsam löste sich ihre Erstarrung auf, bis sie sich schließlich entspannt und erschöpft an ihn lehnte. Sanft berührte Mikhail ihren Geist und stellte fest, dass sie verzweifelt um Kontrolle rang.
»Ich bin bei dir, Raven.« Bewusst sprach er die Worte laut aus, um so menschlich wie möglich zu klingen. »Die Nacht ruft nach uns und heißt uns willkommen. Kannst du es hören? Der Gesang der Insekten, der Kreaturen der Nacht ist so schön. Hör ihnen einfach zu.« Mikhails Stimme klang tief und beruhigend.
Raven zog die Beine an und ließ ihre Stirn auf den Knien ruhen. Leicht wiegte sie sich vor und zurück, während sie noch immer nahe daran war, jeden Bezug zur Realität zu verlieren. Sie atmete ein und aus und konzentrierte sich ganz auf die Bewegungen ihres Brustkorbs.
»Ich will dich an einen sicheren Ort bringen, weit weg von hier.« Mit
Weitere Kostenlose Bücher