Karparthianer 01 Mein dunkler Prinz
langsamer als gewöhnlich zu sinken. Doch schließlich färbte sich der Himmel blutrot, durchzogen von Streifen in Orange und Rosa. Als der Mond aufging, wurde er von einem dünnen Wolkenschleier verhüllt. Dieser Schleier umgab den Mond wie ein böses Omen. Der Wald war dunkel und unheimlich still.
Nebelschwaden waberten zwischen den Bäumen hindurch.
Der Wind trieb die Wolken über den Himmel, raschelte in den Baumkronen, vermochte jedoch nicht den beißenden 314
Geruch nach Rauch zu vertreiben, der über dem Wald lag.
Asche, verkohlte Balken und geschwärzte Steine waren die einzigen Uberreste von Mikhail Dubrinskys einst prächtigem Zuhause.
Zwei Wölfe beschnupperten den Schutt, hoben dann die Köpfe gen Himmel und heulten kummervoll. Im Wald ertönten die Antworten anderer Wölfe, die ihre Trauer in die Nacht hinaus riefen. Binnen weniger Minuten verklangen die Rufe der Tiere. Die beiden Wölfe umkreisten die Ruine, nahmen dann die Witterung der beiden Wachposten auf, die zu beiden Seiten des eisernen Tors standen.
Schnell wandten sich die Wölfe ab. Eine finstere Bedrohung schien von den beiden dunklen Gestalten auszugehen.
Die Tiere zogen sich in den Wald zurück, und abermals hüllte eine eigenartige Stille die Berge ein. Die Tiere des Waldes verharrten in ihren Verstecken, um nicht die Witterung der Asche aufzunehmen, der Zerstörung von Mikhails Heim, den sie doch als einen der ihren betrachteten.
Tief in der Erde ruhten zwei reglose Gestalten. Doch dann begann ein Herz in der Stille zu schlagen, stark und regelmäßig. Blut pulsierte im Rhythmus des Herzschlags.
Mikhail begann zu atmen. Er suchte die Umgebung ab. Es war schon nach Mitternacht. Das Feuer war erloschen, die Feuerwehr und die vielen Neugierigen hatten den Ort des Geschehens verlassen.
Mikhail spürte Jacques' und Gregoris Anwesenheit. Außer diesen beiden befand sich niemand in der Nähe. Mikhail wandte seine Aufmerksamkeit Raven zu. Er widerstand der Versuchung, Gregori zu befehlen, sie aufzuwecken. Es wäre nicht in Ravens Interesse gewesen. Bevor sie nicht aus der Erde befreit war, war es besser für sie, fest zu schlafen. Sie sollte nicht an die Qualen des vergangenen Tages erinnert werden. Mikhail zog ihren leblosen Körper fest an sich, und 315
hielt sie eine Weile in seinen Armen.
Dann öffnete Mikhail das Erdreich und stieg an die Oberfläche. Es verwirrte ihn ein wenig, sich plötzlich drau-
ßen unter dem nächtlichen Himmel wiederzufinden. Sobald er dazu in der Lage war, erhob er sich in die Lüfte, um Raven besser beschützen zu können, falls es erforderlich sein würde. Der Wind strich um seinen Körper, während dunkle Federn im Mondlicht zu schimmern begannen; gewaltige Schwingen breiteten sich aus und trugen die große Eule in die Lüfte empor. Der Raubvogel kreiste über dem Wald und hielt nach Bedrohungen Ausschau.
Doch die Freiheit des Fliegens bereitete Mikhail auch Freude. Im Sturzflug näherte er sich dem Boden, um sich dann in Nebel aufzulösen. Die Nebelschwaden sanken glitzernd durch die Bäume, sammelten sich und formten sich zu der Gestalt eines großen Wolfes. Mikhail lief durch den Wald, durchquerte mühelos das Unterholz und rannte über eine Wiese.
Als er sich beruhigt hatte, kehrte Mikhail zu der Ruine seines Hauses zurück und nahm wieder seine menschliche, bekleidete Gestalt an. Er ging auf seinen Bruder zu. Mikhail war sich der Tatsache bewusst, dass die Tiere des Waldes und sogar die Natur selbst, die so sehr ein Teil von ihm war, seinen Hass spürten. Sein Zorn reichte tief und lauerte dicht unter der Oberfläche. Seine Feinde würden nicht entkommen.
Jacques richtete sich langsam auf, als hätte er bereits seit Stunden gewartet. Er massierte sich den Nacken. Dann blickten die Brüder einander an, und in ihren dunklen Augen spiegelte sich Kummer. Jacques trat auf Mikhail zu und umarmte ihn ein wenig ungeschickt. Mikhail wusste, dass Raven sich über diesen Anblick amüsiert hätte.
Gregori kauerte am Boden. Er hielt sich völlig still, und auch sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Seine Augen 316
schimmerten silbrig, und ihrem Blick entging nicht einmal die kleinste Einzelheit. Schließlich erhob sich Gregori langsam.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte Mikhail schlicht.
Gregori, sein ältester Freund, seine rechte Hand, der größte Heiler und gnadenloseste Vampirjäger des karpatiani-schen Volkes.
»Man hat Romanov in ein Krankenhaus gebracht und ruhiggestellt«, berichtete
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