Karparthianer 01 Mein dunkler Prinz
Ihr stockte der Atem. Raven war sicher, dass es sich um den Pfad handelte, auf dem Mikhail sie zu seinem Haus gebracht hatte. Die Mörder waren auf dem Weg zu ihm, während er verletzt und hilflos in seinem Haus schlief.
Raven lief den Pfad entlang, achtete jedoch darauf, die Mörder nicht einzuholen. Sie würde Mikhails Sicherheit mit ihrem Leben verteidigen, wenn es sein musste, wollte aber eine zu frühe Konfrontation vermeiden.
Dunkle Wolken trieben über den Himmel, und der auf-kommende Wind kündigte das langsam heraufziehende Gewitter an. Trockenes Laub wirbelte über den Pfad, und die Baumkronen wiegten sich im Wind.
Raven fröstelte in der kühlen Abendluft. Mikhail! Höre mich! Sie sandte ihm die Worte, halb Befehl, halb verzweifeltes Flehen, und hoffte, dass es ihr gelingen würde, seinen tiefen Schlaf zu durchdringen, sobald sie sich ihm näherte.
Plötzlich vernahm sie lautes Keuchen, hielt inne und versteckte sich hinter einem Baum. Harry Summers war stehen geblieben, um sich auszuruhen. Raven beobachtete ihn, 216
während er versuchte, seinen heftigen Atem zu beruhigen.
Die Gruppe stieg höher in die Berge hinauf. Erleichtert stellte Raven fest, dass sie eine Abzweigung genommen hatten, die von Mikhails Haus wegführte. Sie schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel und nahm die Verfolgung wieder auf. Raven bewegte sich so lautlos wie Mikhails Wölfe, und es erstaunte sie, dass sie es fertig brachte. Kein Zweig knackte unter ihren Füßen, kein Stein löste sich, als sie dem Pfad in die Berge folgte. Wenn sie doch nur auch die Stärke der Wölfe besäße. Sie hatte schon lange nicht mehr gegessen oder geschlafen und fühlte sich unendlich schwach und erschöpft.
Entschlossen hob Raven den Kopf. Diese Leute würden nicht noch einmal morden. Auch wenn Mikhail nicht das Opfer zu sein schien, würde sie alles tun, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Harry hielt sie auf, da er immer wieder stehen blieb, um Atem zu schöpfen. Raven war versucht, an ihm vorbeizuschleichen, doch dann hätte sie ihre Feinde sowohl vor sich als auch im Rücken.
Eine halbe Stunde später blickte Raven besorgt zum Himmel. Immer wieder musste sie Waldlichtungen über-queren und dabei besondere Vorsicht walten lassen. Die Mörder durften sie keinesfalls entdecken. Außerdem frischte der Wind auf und jagte ihr Kälteschauer über den Rücken.
In ihrer Eile hatte sie vergessen, sich eine Jacke anzuziehen.
Bis zum Sonnenuntergang würde es noch eine Stunde dauern, doch die Wolken hatten bereits den Himmel verdunkelt. Hier in den Bergen zogen schwere Gewitter oft überraschend auf und tobten manchmal stundenlang. Als sie den nächsten Bergkamm erreicht hatte, blieb Raven stehen.
Vor ihr erstreckte sich eine Wiese, auf der Wildkräuter und Blumen wuchsen. Am Rande der Lichtung stand ein Haus, das von blühenden Büschen umgeben war. Harry hatte die 217
anderen eingeholt, die vor dem Haus standen und den Boden abzusuchen schienen. Er hielt einen langen Holzpflock in der Hand, während Hans einen Hammer umklammerte. Die vier murmelten einen seltsamen Sing-sang und besprengten den Boden mit Wasser aus einer Phi-ole. Jacob trug eine Schaufel und eine Spitzhacke.
Raven verspürte plötzlich Übelkeit und einen eigenartigen Schmerz, der von ihrem Rücken ausging und sich in Wellen in ihrem Unterleib ausbreitete. Doch nicht ihr Körper wurde von den Schmerzen geschüttelt, ein anderer Mensch war die Quelle. Sie nahm telepathische Verbindung mit der Person auf und las Furcht und Verzweiflung in ihren Gedanken. Sie musste die Erde verlassen, damit sie ihr Kind gebären konnte.
»Es ist die Hure Satans! Sie steht kurz vor der Niederkunft!«, schrie Margaret, deren Gesicht von Hass und Abscheu verzerrt wurde. »Ich fühle ihre Angst. Sie weiß, dass wir hier sind, und ist hilflos.«
Jacob schlug die Spitzhacke tief in den weichen Erdboden, und Hans begann, wie besessen zu graben. Immer wieder prallte das Metall der Werkzeuge auf Steine in der Erde. Das klirrende Geräusch widerte Raven an. Es schien die verdorbenen Gedanken der fanatischen Mörder zu untermalen.
Es kam ihr so vor, als würde die Erde selbst vor Schmerz und Entsetzen aufschreien. Raven zwang sich, tief durchzuatmen. Sie brauchte einen Plan. Die Frau schien in einem der Minenschächte gefangen zu sein, deren unterirdisches Netz die Berge durchzog, oder in einem Kellergewölbe.
Offenbar lag sie in den Wehen und fürchtete um ihr Leben und das ihres
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