Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
noch stärker auf den Boden, und in der Ferne konnte Shea Donnergrollen hören. Blitze zuckten über den Himmel. Sie erschauerte unwillkürlich und tastete automatisch mit dem Finger nach dem Abzug ihres Gewehrs. Ärgerlich über sich selbst, ging sie wieder hinein, lehnte das Gewehr an die Fensterbank und bemühte sich, ihre Fassung wie-derzugewinnen. Ihr Verhalten war einfach inakzeptabel.
Nicht zu fassen, dass sie Jacques so sehr brauchte! Ihr wurde ja schon körperlich übel, und sie hatte den Eindruck von Gefahr, nur weil sie geistig nicht mit ihm verbunden war! Der Gedanke, dass ihre bösen Vorahnungen reine Einbildung waren, gefiel ihr zwar gar nicht, aber es schien immer noch das geringere von zwei Übeln zu sein.
»Du bist sehr blass, Shea. Du brauchst Nahrung«, erklärte Raven behutsam, da sie aus eigener Erfahrung wusste, wie heikel dieses Thema war.
Shea schluckte schwer. Ihr war schwindlig vor Schwäche. Vielleicht war das der Grund; möglicherweise hatte es wirklich nichts mit Jacques zu tun. »Ich weiß. Ich komme damit einfach noch nicht klar. Ich muss mich irgendwann damit abfinden, das weiß ich, aber im Moment ist das alles noch zu neu.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, jemand in den Hals zu beißen ?« Raven lachte leise. »Ich auch nicht. Pfui, Teufel!
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Naja...« Sie errötete leicht. »Mikhail hat da so seine Methode, es mir angenehmer zu machen ...« Sie brach verlegen ab.
Shea stellte fest, dass sie auch rot wurde. »Ja, ich weiß, was du meinst. Jacques scheint dieselbe Methode anzuwenden.« Ihre Hand legte sich wieder um den Gewehrlauf, und sie versuchte, das Hämmern ihres Herzens zu beruhigen. Ihr Mund war trocken vor Angst.
Shea warf Raven einen verstohlenen Blick zu. Sie lag friedlich zusammengerollt, fast heiter in ihrem Sessel.
Shea fluchte insgeheim. Irgendetwas lief völlig schief, das spürte sie tief im Inneren, aber sie konnte es weder sich selbst noch Raven begreiflich machen. »Hast du je versucht, Mikhail zu verlassen?«
Raven fuhr zusammen und starrte sie an. Ein weiches Lächeln spielte um ihre Lippen. »Du kannst deinen Gefährten nicht verlassen. Erstens weiß er, was du denkst, und zweitens kann er dich finden, wo immer du bist. Außerdem kannst du nicht sehr lange von ihm getrennt sein, es ist zu schmerzlich, körperlich wie seelisch. Wenn du Jacques verlassen würdest, würde das, was du dabei empfindest, nicht aufhören, sondern immer schlimmer werden. Du kannst ihn nicht verlassen, Shea.
Du musst lernen, mit ihm zu leben.«
»Ich weiß. Und eigentlich will ich auch gar nicht gehen«, gab Shea zu. Sie war den Tränen nah. Die unheilschwangere Atmosphäre verdichtete sich, doch sie konnte es sich immer noch nicht erklären. Ihre Gefühle waren ein einziges Durcheinander. Einerseits wollte sie Jacques in ihrer Nähe haben, andererseits war seine Welt so bizarr, dass es ihr Angst machte. Sie war völlig außerhalb ihres Elements.
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Raven, die Sheas Verstörtheit offenbar falsch deutete, sprang sofort auf und legte einen Arm um sie. »Er tut dir doch nicht weh, oder?« Sie musterte die verblassten Wunden und Blutergüsse an Sheas Hals. »Das war er, oder?«
Shea legte verlegen eine Hand an ihren Hals, um die Male zu verdecken. »Das wollte er nicht. Er weiß manchmal nicht, was er tut. Aber er ist nicht der Typ Mann, der eine Frau misshandeln würde. Dazu kenne ich ihn inzwischen gut genug. Und ich bin nicht die Frau, die sich so etwas gefallen lassen würde.« Sie ließ sich von der Frau umarmen, weil sie es in diesem Moment brauchte, getröstet zu werden. »Es ist nur so, dass ich ständig Angst habe. Vor allem Möglichen. Das sieht mir überhaupt nicht ähnlich. Und ich weine. Ich weine sonst nie.« Was sich auch dort draußen herumtrieb, es war jetzt sehr nah. Am liebsten hätte sie laut nach Jacques geschrien.
»Du hast eine traumatische Zeit hinter dir, Shea, und dein Körper auch. Du bist sehr geschwächt, und du brauchst Nahrung.« Raven ließ sie los und trat einen Schritt zurück. »Gregori ist ein fantastischer Heiler. Ich weiß, du glaubst, er könnte der Vampir sein - man sieht es dir an, wenn du ihn anschaust -, aber er würde sein Leben für dich geben, für mich, für Mikhail. Er ist ein großartiger Mann. Er könnte dir wirklich helfen, wenn du es nur zulassen würdest.«
»Er ist der Furcht erregendste Mann, der mir je begegnet ist«, gestand Shea. »Wenn ich ein Kind hätte, eine Tochter, würde ich ihn ihr nicht als Ehemann
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