Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
auf Leere.
Auf nichts. »Er ist tot, Byron«, wiederholte er leise. Es war nicht zu überhören, dass er das Thema beenden wollte.
Byron gab nicht nach. »Ich irre mich nicht.«
Mikhail sah ihn eine Weile forschend an. »Willst du damit sagen, dass Jacques diese Frau misshandelt hat?
Dass er einen Menschen umgewandelt hat?« Ein leises Zischen begleitete seine Frage, und die Macht in Mikhail trat deutlich zutage.
»Sie ist Karpatianerin, kein Vampir. Und sie hat die örtliche Blutbank des Krankenhauses aufgesucht. Ich kenne ihre Verbindung zu Jacques nicht, aber es gibt eine.« Byron war unerschütterlich.
»Wie dem auch sei, Byron, wir müssen diese geheimnisvolle Frau finden und sie beschützen, bis sie einen Gefährten bekommt. Ich sage Raven, dass ich mit dir gehe. Ich will nicht, dass sie von Jacques hört.«
Mikhails Tonfall war sehr sanft und wirkte deshalb nur umso bedrohlicher.
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Hinter seinen Worten verbarg sich eine düstere Ankündigung. Falls Mikhail je herausfand, dass Jacques am Leben und nicht bereit war, seinem Ruf zu antworten, würde rasche und tödliche Vergeltung folgen.
Und wenn die Frau in irgendeiner Weise etwas damit zu tun hatte ... Byron seufzte und sah zum Himmel, während Mikhail sich in Nebel auflöste. Wolkenfetzen begannen, um die Sterne zu wehen, und das Land selbst wurde unruhig, aufgerüttelt von einer unsichtbaren Gefahr.
Mikhail stieg bereits in veränderter Gestalt aus dem Nebel auf und flog davon. Byron hatte die Geschwindigkeit nie beherrscht, die Mikhail so mühelos meisterte, und war gezwungen, auf der Steinsäule seine Gestalt zu verwandeln und sich von dort zum Himmel emporzuschwingen. Der größere der beiden Vögel glitt lautlos dahin, die messerscharfen Krallen ausgefahren, als wollte er eine Beute schlagen. Plötzlich hielt er inne und schlug heftig mit den Flügeln. Wie alt ist sie, diese Frau ?
Jung. Zwanzig, vielleicht ein bisschen älter. Es war unmöglich festzustellen. Sie beherrscht unsere Sprache, das habe ich gespürt, aber sie sprach englisch. Der Akzent war schwer einzuordnen. Leicht amerikanisch in Betonung und Ausdrucksweise, aber ich habe einen Hauch von irischem Akzent aufgeschnappt.
Sie lenkte bewusst die Aufmerksamkeit auf uns. Niemand von ihrer Art würde so etwas tun. Ich war gezwungen, sie zurückzulassen, wie sie sehr wohl wusste. Sie konnte sich im Morgenlicht länger aufhalten als ich. Wenn sie ein Vampir wäre, wäre das nicht möglich.
Die beiden Eulen jagten am dunklen Himmel dahin 203
und brachten eine leichte Brise mit sich. Ein leises Zischen kündete das Auffrischen des Windes an. Unter ihnen schwankten die Bäume und neigten sich zur Erde.
Kleine Tiere huschten unruhig in ihre Unterkünfte.
Wolken zogen auf und verdunkelten die Sterne.
Shea taten von ihrer wilden Fahrt über das raue Gelände allmählich die Arme weh. Ihre Finger hielten das Lenkrad so fest umklammert, dass sie beinahe taub waren. Sie befürchtete schon, völlig die Orientierung verloren zu haben, als der Track plötzlich hart auf den Boden prallte, durch einen Bach schoss und schließlich auf der schmalen Fahrrinne landete, die zu der alten Hütte hinaufführte. Shea stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Der grasüberwachsene Weg war voller Steine und Schlaglöcher, aber sie war mit seinen Kurven und Windungen vertraut und legte die Strecke schnell zurück.
Zwei Mal versuchte sie mit Jacques in Verbindung zu treten, aber er widersetzte sich ihren Bemühungen. Das beunruhigte sie. Er war bestimmt nicht in Gefahr, redete sie sich ein. Sie war überzeugt, dass sie es wissen würde, wenn dieser sogenannte Byron ihn aufgespürt hatte, wurde aber trotzdem das Gefühl nicht los, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.
Erleichtert atmete sie auf, als sie die Hütte endlich vor sich sah. Es dauerte einen Moment, ihre Finger vom Lenkrad zu lösen und ihre verkrampften Muskeln zu lockern. Als sie es schaffte, aus dem Wagen zu steigen, konnte' sie sich kaum auf den Beinen halten.
Der Wind wurde lebhafter und wirbelte Blätter und Zweige durch die Luft. Hoch oben in den Baumkronen schwankten die Äste knarrend hin und her. Graue und 204
schwarze Streifen schoben sich vor die funkelnden Sterne und löschten einen nach dem anderen aus. Schwere, düstere Wolken türmten sich am Himmel. Shea blickte auf. Der Sturm schien ihr ein Vorbote drohender Gefahr zu sein.
Unablässiger Hunger nagte gnadenlos an ihr. Er schien von Tag zu Tag schlimmer zu werden,
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