Karpfen, Glees und Gift im Bauch
beiden Polizeibeamten wurden leicht nervös. Die Zeit verrann. Die Bauarbeiter hatten die Steine abgeladen und machten Zigarettenpause. Um neun holten sie sich aus der Metzgerei die erste Brotzeit. Eine viertel Stunde später knackte es in der Funkanlage des Polizeifahrzeuges. Hauptkommissar Joerg Kraemer, der Vorgesetzte von Gerald Fuchs, war dran. »Gerald, Sandra, wo seid ihr?«
»Wir stehen immer noch etwas abseits vom Supermarkt und warten auf die Ankunft des mutmaßlichen Mörders«, klärte der Kommissar seinen Chef auf. »Langsam fragen wir uns, ob der Waiblinger vielleicht Lunte gerochen hat. Jedenfalls ist er bisher noch nicht eingetroffen.«
»Gerald, Sandra, vergesst im Moment die geplante Festnahme. Wir wurden vor wenigen Minuten von den Kollegen der Höchstadter Landpolizei angerufen. Die Hotelleitung des Schlosshotels in Pommersfelden hat bei den Kollegen einen skurrilen Mordfall gemeldet. Angeblich wurde ein Gast erschossen in seinem Zimmer aufgefunden.«
»Was soll daran skurril sein?«, wollte Sandra Millberger wissen. »Fahrt hin und schaut euch die Sache an. Das Mordopfer soll durch zwei Jagdpfeile zu Tode gekommen sein.«
»Was??«
»Kollegen, die euch ablösen, sind bereits nach Röttenbach unterwegs. Ach ja, noch etwas: Auf dem Gelände des Schlossparks treiben sich gerade ein paar gestörte Jungmanager eines deutschen DAX-Konzerns herum und spielen Krieg. Ihre Firmenleitung hat ihnen einen Outdoor-Event in Form eines Bogenschießenwettbewerbs verordnet. Vielleicht findet ihr ja auch gleich den Mörder. Möglicherweise hat der große Geist Manitu einen von denen gebissen und zum neuen Rambo auserkoren. Die Kollegen aus Höchstadt sind bereits vor Ort und haben den Tatort weiträumig abgesichert. Thomas Rusche und sein Team von der Spurensicherung fahren gerade vom Hof und müssten in circa einer halben Stunde auch eintreffen. Das Zimmermädchen, das heute Morgen beim Saubermachen die Leiche gefunden hat, hat einen Schock erlitten und ist im Moment nicht vernehmungsfähig. Seid vorsichtig, sonst endet ihr am Marterpfahl. Meldet euch später. Over und Ende.« Das Funkgerät knackte erneut und war stumm wie ein Fisch.
Als die beiden Beamten einundzwanzig Minuten später mit Blaulicht und Martinshorn in den Schlosshof einfuhren, wurden sie bereits erwartet. Hauptwachtmeister Kurt Iberl nahm sich ihrer an. »Also, suwas habbi nunni gsehgn, Herr Kommissar, dees schdelln Sie sich Iehna ned vor«, murmelte er ständig, als er die beiden Neuankömmlinge zum Tatort geleitete. »Wie bei die Kauboi und Indijaner. Mier ham fei nix ohgriehrd. Mier ham alles su glassn, wies woar.« Kommissar Fuchs und seine Assistentin streiften sich Plastiküberzieher über ihre Schuhsohlen, bevor sie das Hotelzimmer des Opfers betraten. Zwischen Fenster und Bett lag eine männliche Person am Boden. Jedenfalls ragten zwei Beine in einer dunklen Anzugshose und schwarzen Schuhen bis zum Ende der Unterschenkel hinter der Bettkante hervor. Mehr war nicht zu sehen, auch als sie näher traten. Der Rest des menschlichen Körpers war unter dem heruntergefallenen Vorhang versteckt, der sich in welligen Schlingen über dem Toten ausgebreitet hatte. Lediglich die beiden Pfeile, die in dem Körper steckten, hatte der Vorhang frei gelassen. Sie ragten wie zwei tödliche Finger aus der Leiche. Ein Pfeil steckte in der linken Augenhöhle. Der Teil des Gesichts, welcher nicht von dem Vorhangstoff bedeckt war, war blutverkrustet und entsetzlich entstellt. Kleine, winzige Glassplitter lagen auf dem Boden verstreut. In der Ecke neben dem Nachttischschrank lag eine rahmenlose Brille. So eine Brille hatte er schon des Öfteren gesehen. Das Glas für das rechte Auge war unbeschädigt. Der Brillenbügel des linken Auges war völlig verbogen. Das linke Glas fehlte. Der Kommissar und Sandra Millberger zogen sich Latexhandschuhe über. Irgendetwas kam ihm an dem ganzen Szenario bekannt vor. Auf dem Schreibtisch stand eine Spendierdose Tic Tac, Zitronengeschmack. Gerald Fuchs wollte sich unbedingt Sicherheit verschaffen. Er griff in die Innentasche seines Anzugjacketts und zog einen Kugelschreiber heraus. Vorsichtig fuhr er damit unter den Vorhangstoff, welcher den Toten bedeckte und hob ihn vorsichtig hoch. Obwohl er auf den Anblick innerlich bereits vorbereitet war, erschrak er, als er in das Antlitz von Gustav Haeberle blickte. Die ersten Schmeißfliegen hatten sich rund um die blutige Augenhöhle des linken Auges oder das, was davon übrig
Weitere Kostenlose Bücher