Karrieresprung
wuchtigen Sessel höher saß und dadurch größer wirkte. Fast war es wie in der Schule, als sie Lerngemeinschaften gebildet und zu Hause geübt hatten, um den Jugendschreibtisch geschart, der eine auf einem Stuhl sitzend, die anderen drum herum auf Kisten oder auf dem Teppich. So war es anfangs auch im Studium gewesen, bis ihn Lisa daraus befreit hatte.
Doch in Rosenbooms Büro war die Situation keineswegs albern oder unangenehm. Befriedigt spürte er, dass sein Mandant mit sichtlichem Gefallen seinen Worten lauschte, und Knobel vervollkommnete daraufhin das Vorlesen. Er las deutlich und betonend und nicht zu schnell. Nach Absätzen hielt er inne, und bei jedem Komma hob er die Stimme. Als er endete, war sein Mandant begeistert.
»Sagen Sie, wie kommen Sie auf so was?«
Knobel tat gleichgültig.
»Phantasie gehört zu meinem Beruf.«
»Sie haben sich das alles selbst ausgedacht?«, fragte Rosenboom ungläubig.
»Natürlich.«
Knobel ging freudig ins Detail.
»Es passt auch rechtlich. Wir verbinden die erste Geschichte mit der zweiten, ohne in die Rechtskraft des ersten Urteils einzugreifen.«
Rosenboom nickte, aber Knobel merkte, dass sein Mandant nicht verstanden hatte.
»Das Rechtliche ist auch nicht wichtig«, beruhigte Knobel.
»In diesen Dingen sind Sie der Fachmann«, wiederholte Rosenboom.
»Dennoch werden wir verlieren«, erinnerte Knobel, »denn unsere gute Geschichte ändert nichts daran, dass wir beweisen müssten, dass Weinstein Ihnen das Geld geschenkt hat. Ich werde eidliche Vernehmung des Herrn Weinstein beantragen. Aber es ist klar, dass er seine Version wiederholen wird.«
Knobel unterließ es, Rosenboom nochmals die Sinnlosigkeit des Prozesses vor Augen zu halten.
»Wir werden es natürlich probieren«, sagte er stattdessen.
Der Mandant schlürfte seinen Tee und nickte zufrieden.
»Sie sind mein Anwalt.«
Knobel raffte sein Manuskript zusammen und ließ es in seinen Aktenkoffer gleiten.
»Jetzt schreiben Sie mal ordentlich Stundenhonorar für Ihre Arbeit auf«, forderte Rosenboom freundlich und dankbar.
»Die bisherige Arbeit ist mit den Anwaltsgebühren abgegolten, die im Prozess anfallen«, erwiderte Knobel pflichtschuldig, aber sein Tonfall verriet, dass er für eine zusätzliche Vergütung empfänglich sei.
»Sagen wir: Zehn Stunden zu je vierhundert«, schlug Rosenboom vor.
Stundenzahl und Stundensatz waren maßlos übersetzt.
Knobel schwieg unsicher.
»Viertausend extra für Ihren Einsatz sind nicht überbezahlt.«
Rosenboom schmunzelte.
»Schließlich will ich Sie ja behalten.«
Knobel unterließ die eilfertige Versicherung, dass er ohnehin für seinen besten Mandanten bereitstehe. Er addierte die viertausend im Geiste auf seinen letzten Umsatzstand. Immer häufiger ertappte er sich beim heimlichen Taxieren. Für die Kanzlei, für Lisa, demnächst für ein Kind. Sie hatten begonnen, Pläne für ein eigenes Haus zu schmieden. Lisa hatte schon den Garten geplant, ähnlich demjenigen des väterlichen Hauses, und Knobel hatte ihr den Stift abgenommen und den Garten noch ein wenig größer gemalt. Sie würden ein kleines Gartenhaus errichten und eine Terrasse, von der aus man dem Kind beim Herumtollen auf dem Rasen zusehen könnte. Lisa hatte beglückt auf die Zeichnung des vergrößerten Gartens geschaut. Alles werde bald Wirklichkeit, hatte Knobel erklärt.
24
Das Dortmunder Landgericht hatte angeordnet, dass die Kontrahenten Weinstein und Rosenboom zur Aufklärung des Sachverhalts persönlich zur Verhandlung zu erscheinen hätten.
Knobel hatte Rosenboom noch wenige Tage vorher auf die eigene Darstellung des Sachverhalts eingeschworen, ihn einem Schüler gleich die vorgetragene Geschichte nacherzählen lassen und die in ihr enthaltenen Daten vokabelartig abgefragt.
Sein Mandant hatte folgsam die Prüfung bestanden und sich amüsiert für Knobels Ratschlag bedankt, sich frühzeitig bei Gericht einzufinden, um sich noch vor der Verhandlung entspannen zu können. Knobel hatte es in demselben Tonfall gesagt, in dem er nunmehr Lisa riet, sich den Belastungen des Alltags so weit wie möglich zu verweigern.
Lisa war inzwischen schwanger.
Als sie ihm ihre Schwangerschaft verraten hatte, redeten sie den ganzen Abend miteinander. Es war eine lange Zeit vergangen, seit sie das letzte Mal so lange miteinander geredet hatten. Sie stritten fröhlich über Vorzüge und Nachteile eines Doppelnamens, verwarfen schließlich ihre ersten Ideen und beschlossen, dass eine Tochter
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