Karrieresprung
konnte.
Dr. Reitingers Kopfschütteln bestätigte ihn.
»Man gleitet immer wieder bei der Arbeit ab. Man wird langsamer und langsamer.«
Knobel hatte registriert, dass Dr. Reitingers Vorsprung bei den Umsatzzahlen gegenüber seinen Zahlen in den letzten Wochen deutlich gesunken war. Lukrative Prozesse der Firma Rosenboom, die vom Senior auf ihn übergeleitet worden waren, hatten seine Umsatzzahlen in die Höhe schnellen lassen. Frau Meyer-Söhnkes kreiste bei 186.000. Knobel war ihr uneinholbar davongeeilt und schloss zu Dr. Reitingers stagnierenden Zahlen auf.
»Es wird vorübergehen«, tröstete Knobel.
»Man kommt in einer solchen Krise nicht gegen seine Langsamkeit an«, entschuldigte Dr. Reitinger leise.
Ihm fiel auf, dass Dr. Reitinger ihm seit geraumer Zeit keine Computergrafiken mehr gezeigt hatte.
»Es wird sicher vorübergehen«, wiederholte Knobel.
Seine Worte wollten ein ihm fremd gewordenes Leiden zudecken. Das Leid der Trennung und das Leid des Verlustes war in die Vergangenheit gedrängt und zu fern, als dass er Dr. Reitingers Seelenzustand noch hätte nachempfinden können. Er wollte auch nicht nachempfinden. Knobel litt den vergangenen Lieben nicht mehr hinterher. Seine Worte waren ins Dunkle gesprochener dürrer Trost. Er wusste so gut wie nichts über Dr. Reitinger. Die flehende Vertraulichkeit Reitingers belastete ihn.
Knobel wollte keine Nähe. Knobel wollte keine Tiefen.
Dr. Reitinger gestand, in drei komplizierten Akten auf der Stelle zu treten und nicht zu wissen, wie er die Vorgänge in den Griff bekommen solle.
Knobel verstand.
»Geben Sie mir die Akten rüber!«
Dr. Reitingers müde Augen weiteten sich zu einem flüchtigen Leuchten.
»Sie können die Akten natürlich auch selber abrechnen.«
Doch Knobel wehrte entschieden ab. Es war sein Preis für den stillen Wunsch, seine Solidarität durch Aktenbewältigung abarbeiten zu dürfen.
Dr. Reitinger nickte dankbar. Er verriet, für welche Summe er sich seinerzeit als Sozius eingekauft hatte. In so einer Krise sei es gut zu wissen, etwas bezahlt zu haben. Man könne ihm nicht vorwerfen, sich ins gemachte Nest gesetzt zu haben.
Knobel verschwieg, dass er für seine Soziierung nichts bezahlt hatte.
23
Bei Rosenbooms Geburtstagsfeier hatte Knobel das Haus seines Mandanten bloß als Durchgang zum Garten genutzt, und bei seinem zweiten Besuch war er nur bis zur Garage vorgestoßen. Jetzt fand er Zeit, sich bewundernd über das Haus zu äußern, und er drehte sich langsam auf dem edlen Wohnzimmerfußboden und pries anerkennend Rosenbooms guten Geschmack, während er sachkundig in alle Winkel blickte.
Rosenboom öffnete eine weiße Schiebetür, die das Wohnzimmer vom Arbeitszimmer trennte. Verblüfft fühlte sich Knobel an Dr. Hübenthals Büro erinnert. Die Bücherwand hinter dem gewaltigen Schreibtisch und die lederne Sitzgruppe schräg gegenüber bildeten ein vertrautes Ensemble, aber hier war jedes Mobiliar zweifellos noch edler und wertvoller als in Büro 101.
Tassilo Rosenboom setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Die gewaltige Edelholzplatte mit kunstvollen Intarsien fasste noch mehr Bücher als der große Schreibtisch von Dr. Hübenthal und wahrscheinlich mehr, als man jemals gleichzeitig gebrauchen konnte.
Knobel wollte ihm gegenüber Platz nehmen und hatte einen der schweren Lehnstühle bereits vorgezogen.
»Hier herum«, befahl Rosenboom freundschaftlich und winkte ihn zu sich. »Ich sehe Sie doch sonst gar nicht.«
Knobel zog folgsam den Stuhl um den mächtigen Tisch, und Rosenboom ließ seine Frau den Tee servieren. Knobel fand Gelegenheit, sie eingehender zu betrachten. Er hatte von Dr. Hübenthal erfahren, dass sie um die fünfzig sein musste, doch sie sah deutlich jünger aus. Das zu einem Knoten zusammengebundene schwarze Haar machte sie streng, was zu ihren Lachfältchen in den Augenwinkeln und ihren großen braunen Augen nicht passen wollte. Sie wirkte natürlich und herzlich. Knobel mochte sie, ohne dass er bisher auch nur einen Satz mit ihr gewechselt hatte. Er sah ihr nach, bis sie die Türflügel leise hinter sich schloss.
»Nun zu uns!«
Rosenboom wurde geschäftlich, und Knobel zog prompt das Manuskript seines Schriftsatzes aus seinem neuen schmucken Aktenkoffer, den er gegen seine alte dickbauchige Tasche eingetauscht hatte.
Knobel las vor. Er hatte alles passend gemacht, Maries Grundidee verfeinert und mit Daten angereichert. Knobel sah beim Vorlesen gelegentlich zu Rosenboom auf, der in seinem
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