Karrieresprung
zog grau an ihnen vorüber, die Dunkelheit brach herein. Marie zündete noch mehr Kerzen an. Sie blieben beieinander, ertasteten und erfragten sich. Es waren keine aufregenden Leben. Knobel durchstreifte seines, ohne weder Höhepunkte noch seine strahlende Karriere hervorzuheben. Nichts war außergewöhnlich, doch er schätzte auch nichts gering. Er wagte zu unterscheiden. Sie verglichen und interessierten sich und blieben zwischendurch still, mal ruhend, dann einander streichelnd. Später, als die erste Kerze schon fast ausgebrannt war, die Flamme noch einmal hell zitternd aufloderte und dann langsam erstickte, als sie beschützt einander wärmend unter ihrer schmalen Bettdecke lagen, die Zeit verträumten und der Feierabendverkehr der Brunnenstraße dumpf wie aus der Ferne zu ihnen drang, erzählte er ihr alles über den Rosenboom-Fall. Die Ruhe in ihrem Zimmer, Maries gleichmäßiger Herzschlag, den er warm an sich fühlte, stand im eigentümlichen Gegensatz zu seiner Geschichte. Doch gerade dies machte es ihm leicht. Kein Detail, das er ausließ oder anders schilderte, als er es wahrgenommen hatte. Schließlich beichtete er ihr seine leidende Ehe. Lisa, die er betrog. Die Ehe, die nie eine richtige Basis hatte. Die vielen offenen Fragen. Als hätte er in Maries kleiner Wohnung einen Ort gefunden, in dem er alle seine offenen Fragen aufbewahren und mit der Zeit abarbeiten konnte, sprudelte alles aus ihm heraus.
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Am 8. Dezember feierte man ihn als den neuen zweiten Mann. Eine Woche vor der offiziellen Weihnachtsfeier der Kanzlei hatte Hübenthal in das vornehme Restaurant La Table in der Spielbank Hohensyburg eingeladen.
Knobel saß vor Kopf der feierlich gedeckten Tafel, rechter Hand von ihm zunächst Lisa, daneben ihr Vater, dann Löffke und Charlotte Meyer-Söhnkes mit ihrem neuen Lebensgefährten.
Am anderen Kopfende, Knobel gegenüber, saß Dr. Julius Hübenthal, und von dort gesehen rechts zunächst Frau Hübenthal, dann Sophie und Tassilo Rosenboom und schließlich die furchtbar aufgeregte Frau Klabunde.
Dr. Hübenthals Rede war kurz und mündete schnell in das Wesentliche: Fortan heiße die Kanzlei Dr. Hübenthal & Knobel.
Der Gefeierte stand auf, um den geschuldeten Dank zu erweisen. Es war seine erste Rede. Das öffentliche Reden lag ihm nicht, aber man erwartete eine dem zweiten Chef angemessene Rede. Knobel schluckte, seine Stimme zitterte etwas. Der hastig getrunkene Sekt trieb Schweißperlen auf die Stirn, aber ihm gelangen die entscheidenden Worte: Der Dank für das geschenkte Vertrauen und der Wunsch, das gleiche Vertrauen auch in der Zukunft zu rechtfertigen, und schließlich der Dank für die vorbildliche Zusammenarbeit innerhalb des Kollegenkreises. Sie alle, die einen Baustein in seiner Karriere bildeten, würdigte Knobel und schloss mit den Worten, er werde sich bemühen, sich der zuteil gewordenen Ehre würdig zu erweisen.
Beifall.
Knobel hob sein Glas und sah jedem in der Runde ins Auge, besonders lang ruhte sein Blick auf Frau Klabunde.
Als man das Menü genossen und immer wieder aufeinander angestoßen hatte, polterte Löffke, dass es nun der steifen Feierlichkeit genug sei. Jetzt müsse der gemütliche Teil kommen. Löffke freute sich immer auf ausgelassene Feiern. Die Weihnachtszeit war für ihn Hochsaison.
Sie tranken und aßen viel an diesem Abend, und später wechselten alle mehrfach ihre Plätze.
Zuletzt saß Knobel neben Löffke.
Schwitzend und mit hochrotem Kopf warb Löffke für einen sportlichen Wettbewerb mit Knobel. Das Jahr sei so gut wie vorbei, mit der Jahreswende beginne der neue Umsatzwettlauf. Die Umsatzeieruhr werde umgedreht.
Knobel blieb gelassen. Er war vor Umsatzkämpfen geschützt.
Löffke ahnte nicht, dass das Streben nach höheren Zahlen, das wechselseitige Übertrumpfen mit Strategien und Siegen, das Buhlen um Mandate ein bloßes Scheingefecht war und Knobel selbst bei geringsten Umsätzen uneinholbar sein würde.
Knobel ließ unbeeindruckt Löffkes Kampfgeheul über sich ergehen. Er fühlte sich unverwundbar. Er wusste, er würde wieder zu Marie gehen.
Nächsten Dienstag.
E N D E
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