Karrieresprung
Weinstein meinem Mandanten Geld geschenkt haben«, fragte er.
Sie schwieg eine Weile und pulte Wachstränen vom Kerzenschaft.
»Ist der geschenkte Betrag kleiner als der, den Weinstein im ersten Prozess als Schadensersatz für das feuchte Haus haben wollte?«
Er nickte.
Sie widmete sich weiter der Kerze, ihre Augen glänzten im flackernden Licht.
»Dann könnte man einfach schreiben, dass Weinstein im ersten Prozess zuviel verlangt hatte und angesichts der aufrichtigen Entschuldigung Rosenbooms ihn nun nicht seinerseits betrügen wollte, ihm also sozusagen den Unterschiedsbetrag geschenkt hat.«
Knobel runzelte nachdenklich die Stirn.
»Die Differenz zwischen dem, was er wirklich an Schaden in der Brunnenstraße 8 hat und dem, was er ursprünglich von Rosenboom haben wollte«, erklärte sie.
»Sehr abenteuerlich«, fand er.
»Es ist immerhin eine Geschichte. Und sie macht Sinn. Um mehr geht es doch gar nicht.«
Knobel spürte, wie sehr es ihr gefiel, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen.
»Aber dagegen spricht allein, dass Weinstein das Geld wiederhaben will. Wie soll ich schreiben, dass Weinstein meinem Mandanten Geld geschenkt haben will, wenn er es gleichzeitig zurückfordert?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Er hat es sich eben anders überlegt und daran gedacht, dass Rosenboom ihn doch zunächst betrügen wollte und er es nicht verdiene, mit einer Rückzahlung belohnt zu werden. Vielleicht hat er gedacht, dass es doch dumm wäre, weniger zu nehmen als das, was Rosenboom nach dem Urteil bezahlen musste.«
Knobel warf den Kopf in die Hände und spann die Geschichte rechtlich weiter. Er referierte Paragraphen, kombinierte und orakelte über weitere Schriftsätze und prozessuale Taktiken. Es würde dabei bleiben, dass Rosenboom nicht beweisen konnte, dass ihm das Geld geschenkt wurde. Der Prozess musste deswegen verloren gehen, aber die Geschichte stimmte. Mehr brauchte er nicht.
Als er wieder aufblickte, hatte sie die Kerze ausgeblasen. Es war kurz vor zwei.
Sie brachte ihn zur Tür.
»Sie müssen mir erzählen, wie es weitergeht.«
Er versprach es ihr, verwundert und beglückt über ihr Interesse an der Sache, dankbar für die geschenkte Geschichte. Er drückte ihre schmale weiche Hand.
Lisa würde er sagen, dass er mit einem Mandanten noch in ein Lokal gegangen sei und dort die Zeit vergessen habe. Die Lüge fiel leicht, sie bewahrte vor glücklosen Erklärungsversuchen. Die Lüge hatte sich in ihre Ehe eingeschlichen, als in der Kanzlei sein Weg nach vorn sichtbar an Kontur gewann. Seine Fälle waren bedeutender, seine Siege glorreicher und die Niederlagen weniger erzählenswert geworden.
Knobel lief zurück zu seinem Mercedes. Als er nach Haus kam, schlief seine Frau schon. Er legte sich neben sie, in Gedanken schon im Büro.
22
In aller Frühe rief er Rosenboom an, doch er musste sich bis mittags vertrösten lassen, bis er endlich durchgestellt wurde. Knobel hatte sich zügeln müssen, seinem Mandanten vorab ein Manuskript seiner Klageerwiderung zuzuleiten, aber es drängte ihn, seine Idee vorzustellen und unter Beweis zu stellen, dass er seinen Auftrag prompt erledigt hatte. Er war unangenehm berührt, als Rosenboom ungeduldig fragte, was denn so Wichtiges geschehen sei, dass er viermal angerufen habe. Knobel bemühte sich, seinen Anruf nicht dringlich zu machen und wiegelte ab, aber Rosenboom war sofort interessiert und lobte ihn.
»Das ging aber schnell, mein Freund.«
Rosenbooms Lob streichelte und bestätigte ihn. Er begann, gelassen und nüchtern sein Konzept vorzustellen, aber sein Mandant unterbrach ihn sofort und bat ihn zum Nachmittag in sein Haus in die Südbecke. Rosenbooms Stimme verriet vorauseilende Anerkennung. Doch Knobel ließ sich seine Freude nicht anmerken. Geschäftsmäßig bestätigte er die getroffene Verabredung.
Als er aufgelegt hatte, erschien Dr. Reitinger in seinem Büro. Sein Gesicht war bleich. Die kleinen Augen verrieten, dass er in der letzten Nacht keinen Schlaf gefunden hatte.
Knobel bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, Platz zu nehmen.
»Mit Ihnen kann ich doch sprechen?«
Dr. Reitingers Blick war flehentlich.
»Natürlich.«
Dr. Reitinger nickte dankbar. Er verschränkte die Hände hinter seinem Kopf, als würde es ihn entspannen, doch es entspannte ihn nicht.
»Die Sache mit meiner Frau belastet mich sehr.«
Knobel erinnerte sich, dass die Reitingers sich getrennt hatten.
»Kann ich irgendwie helfen?«
Er wusste, dass er nicht helfen
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