Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
später vor, sich einen Hund anzuschaffen. Der faschistische
Autor Drieu la Rochelle prangert in einer Passage, in der er sich über die
Dekadenz und den Geburtenrückgang in Frankreich beklagt – der schon in den
dreißiger Jahren akut war –, das Geschwätz eines dekadenten französischen
Ehepaars seiner Zeit an, das er ungefähr so wiedergibt: »Außerdem ist doch Kiki
da, unser Hund, an dem wir uns erfreuen …« Sie war im Grunde der gleichen
Ansicht, wie sie ihrem Mann schließlich gestand: An einem Hund könne man sich
ebenso sehr und sogar noch viel mehr erfreuen als an einem Kind, und wenn sie
sich eine Zeitlang ein Kind gewünscht habe, dann vor allem aus Konformismus und
ein bisschen auch, um ihrer Mutter eine Freude zu machen, aber in Wirklichkeit
liebe sie Kinder gar nicht so sehr, habe sie nie wirklich geliebt, und er doch
auch nicht, mal ganz ehrlich, er hasse doch ihren natürlichen, systematischen
Egoismus, ihre angeborene Missachtung der Gesetze und ihre fundamentale
Unmoral, die einen zwingt, sie zu erziehen, was erschöpfend und fast immer
fruchtlos ist. Nein, nein, Kinder, zumindest menschliche Kinder liebe er ganz
bestimmt nicht.
Er hörte ein Knirschen auf der
rechten Seite und merkte plötzlich, dass sie vor seiner Wohnung angehalten
hatten, möglicherweise schon vor längerer Zeit. Im Licht der Straßenlaternen
sah er, dass die Rue Poliveau menschenleer war.
»Entschuldige, Christian«, sagte er
beschämt. »Ich war … mit den Gedanken woanders.«
»Das macht doch nichts.«
Es war erst neun Uhr, sagte er sich,
als er die Treppe hinaufstieg, Hélène hatte vermutlich mit dem Essen auf ihn
gewartet. Sie kochte gern, manchmal begleitete er sie am Sonntagmorgen, wenn
sie auf dem Markt in der Rue Mouffetard ihre Einkäufe machte. Diese Pariser
Ecke bezauberte ihn jedes Mal von neuem, die Saint-Médard-Kirche mit dem
kleinen daran angeschlossenen Platz und dem Wetterhahn auf dem Turm wie bei
einer Dorfkirche.
Als er den Treppenabsatz des dritten
Stocks erreichte, wurde er tatsächlich vom charakteristischen Geruch eines
Kaninchens in Senfsoße und vom fröhlichen Kläffen Michous empfangen, der seine
Schritte erkannt hatte. Er schloss die Tür auf; ein altes Paar, sagte er sich,
ein traditionelles Paar, das nach einem Modell lebte, das im zweiten Jahrzehnt
des einundzwanzigsten Jahrhunderts unter Menschen ihres Alters kaum noch
verbreitet war, wenngleich es anscheinend von jungen Leuten wieder als
anstrebenswertes, wenn auch im Allgemeinen nicht zu verwirklichendes Ideal
erachtet wurde. Ihm war klar, dass sie in einer kaum vorstellbaren Oase des
Glücks und des Friedens lebten, ihm war klar, dass sie sich eine friedliche
Insel geschaffen hatten, dem Lärm der Welt entrückt und von fast kindlicher
Gutartigkeit – in absolutem Gegensatz zu der Barbarei und der Gewalt, mit der
er jeden Tag in seinem Beruf konfrontiert wurde. Sie waren ein glückliches Paar
gewesen, sie waren noch immer ein glückliches Paar, und sie würden es
vermutlich auch bleiben, bis dass der Tod sie
scheiden würde .
Er packte Michou, der glücklich
kläffend in die Luft sprang, und hob ihn hoch bis vor sein Gesicht; der kleine
Körper erstarrte in ekstatischer Freude. Während sich die Herkunft des
Maltesers bis ins Altertum zurückverfolgen lässt – im Grabmal von Pharao Ramses II . wurden
Statuetten dieser Hunde gefunden –, geht die Einführung des mit dem Malteser
eng verwandten Bolognesers an den Königshof von Franz I . auf ein Geschenk des
Herzogs von Ferrara zurück. Die von zwei Miniaturen des Malers Correggio
begleitete Gabe wurde vom französischen Herrscher sehr geschätzt, der das Tier
als »liebenswerter als hundert Jungfrauen« erachtete und dem Herzog
entscheidende militärische Unterstützung bei der Eroberung des Herzogtums
Mantua gewährte. Der Bologneser wurde anschließend der Lieblingshund mehrerer
französischer Könige, unter ihnen Heinrich II., ehe er durch Mops und Pudel aus
seiner Vorrangstellung verdrängt wurde. Im Gegensatz zu anderen Hunden wie
Shelties oder Tibet-Terriern, die erst sehr spät den Status eines Gesellschaftshundes erlangten, nachdem sie lange als Arbeitshunde eingesetzt worden waren, scheint die
Existenzberechtigung der Bologneser und Malteser seit jeher nur darin bestanden
zu haben, dem Menschen Glück und Freude zu bescheren. Beharrlich erfüllen sie
diese Aufgabe seit unzähligen Generationen: Mit Kindern sind sie geduldig und
alten Leuten gegenüber sanft. Sie
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