Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
wie es vermutlich alle Milieus sind, und Jeds
neutrale Höflichkeit sowie die Tatsache, dass er nicht über sein eigenes
Schaffen sprach, wirkten sich positiv aus und trugen viel dazu bei, dass er den
im Übrigen durchaus berechtigten Eindruck hervorrief, ein seriöser Künstler zu
sein, ein Künstler, der wirklich arbeitete . In gewisser Weise nahm Jed, ohne es zu wissen, die groovy Attitüde ein, die
seinerzeit Andy Warhol zum Erfolg verholfen hatte, auch wenn er dieser Haltung
eine ernsthafte Note unterlegte – welche augenblicklich als betroffener, ja
umweltbewusster Ernst interpretiert wurde –, die fünfzig Jahre nach Warhol
unerlässlich war. An einem Novemberabend wurde er anlässlich irgendeines
Literaturpreises sogar dem berühmten Frédéric Beigbeder vorgestellt, der zu
jener Zeit von allen Medien als Star gefeiert wurde. Der Schriftsteller und
Werbefachmann warf Jed, nachdem er Olga lange einen Kuss auf beide Wangen
gedrückt hatte (allerdings derart ostentativ und theatralisch, dass die
spielerische Absicht überdeutlich zutage trat), einen neugierigen Blick zu, ehe
er von einer prominenten Pornoschauspielerin in Beschlag genommen wurde, die gerade
ein Buch über ihre Gespräche mit einem tibetischen Mönch veröffentlicht hatte.
Beigbeder, der zu den Worten der ehemaligen Hardcore-Darstellerin in regelmäßigen
Abständen nickte, warf Jed mehrmals einen Seitenblick zu, als wolle er ihn
auffordern, nicht in der immer dichter werdenden Menge unterzutauchen, die
einen regelrechten Raubzug auf das Buffet mit den Petits fours startete. Der
stark abgemagerte Autor von Au secours pardon trug zu jener Zeit einen etwas lichten Bart, und zwar
ganz offensichtlich mit der Absicht, einem russischen Romanhelden zu gleichen.
Schließlich machte sich ein großgewachsener, etwas schlaffer, halbfetter Typ
mit halblangem Haar und halb klugen, halb dummen Augen, der einen
Lektorenposten bei Grasset innezuhaben schien, an die Frau heran, sodass
Beigbeder sich zurückziehen konnte. Olga stand, umgeben von ihrem üblichen
Schwarm männlicher Verehrer, ein paar Meter entfernt.
»Sie sind also der Glückspilz?«,
fragte er Jed schließlich und blickte ihm dabei mit beunruhigender Schärfe in
die Augen – er sah in diesem Moment tatsächlich einem russischen Romanhelden
vom Typ »Razumichin, ehemaliger Student«, zum Verwechseln ähnlich. Der Glanz in
seinen Augen war vermutlich eher auf Kokaingenuss als auf religiöse Inbrunst
zurückzuführen, aber machte das einen Unterschied?, fragte sich Jed. »Sie haben
sie also an Land gezogen?«, fragte Beigbeder mit zunehmender Intensität. Da Jed
nicht wusste, was er darauf erwidern sollte, blieb er stumm.
»Wissen Sie, dass Sie mit einer der
fünf schönsten Frauen von Paris zusammen sind?« Seine Stimme war wieder ernst
und professionell geworden, ganz offensichtlich kannte er die vier anderen
persönlich. Auch darauf fand Jed keine Antwort. Was sollte man schon groß auf
Fragen der Menschen antworten?
Beigbeder seufzte, wirkte plötzlich
sehr müde, und Jed sagte sich, dass die Unterhaltung nun wieder in leichteren
Bahnen verlaufen werde, dass er wie gewöhnlich zuhören und den von seinem
Gesprächspartner vorgebrachten Anschauungen und Anekdoten stumm zustimmen
könne; doch da irrte er sich. Beigbeder interessierte sich tatsächlich für ihn,
wollte mehr über ihn wissen, und das war an sich schon ungewöhnlich, schließlich
war Beigbeder einer der am stärksten umworbenen Promis von Paris, und mehrere
der Anwesenden wunderten sich bereits, zogen vermutlich schon irgendwelche
Schlüsse und wandten ihnen den Blick zu. Jed rettete seine Haut zunächst mit
den Worten, er mache Fotos, aber Beigbeder wollte mehr darüber wissen: welche Art von Fotos? Die
Antwort verblüffte ihn total: Er kenne Werbefotografen, Modefotografen und
sogar ein paar Kriegsfotografen (auch wenn er diese eher bei ihrer Tätigkeit
als Paparazzi kennengelernt habe, die sie nebenbei ausübten, ohne das jedoch publik zu
machen, weil es in ihrer Branche im Allgemeinen als viel edler angesehen wurde, die verstreuten
Überreste eines libanesischen Kamikaze zu fotografieren als die Brüste von
Pamela Anderson, obwohl die dabei benutzten Objektive im Allgemeinen dieselben
und die technischen Voraussetzungen fast identisch seien – es ist schwer zu vermeiden,
dass die Hand in dem Moment zittert, da sie auf den Auslöser drückt, und
maximale Blendenöffnungen setzen nun einmal große Helligkeit voraus, das
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