Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
Schriftstellerlaufbahn erzählt hatte – Notizen machen und
versuchen, Sätze aneinanderzureihen; doch um wirklich mit der Niederschrift
eines Romans zu beginnen, muss man warten, bis all das kompakt und
unwiderlegbar wird, warten, bis ein harter Kern der Notwendigkeit auftaucht.
Man trifft die Entscheidung, ein Buch zu schreiben, nie selbst, hatte er
hinzugefügt, ein Buch sei wie ein Block aus Beton, der den Zeitpunkt des
Abbindens selbst bestimme, und die Einwirkungsmöglichkeiten des Autors
beschränkten sich ihm zufolge darauf, anwesend zu sein und bedrückt über die
Untätigkeit darauf zu warten, dass der Prozess von selbst in Gang käme. In
diesem Augenblick begriff Jed, dass die Untätigkeit ihn nie wieder bedrücken
würde, und Olgas Bild schwebte ihm durch den Sinn wie das Phantom eines nicht
zustande gekommenen Glücks – wenn er gekonnt hätte, hätte er für sie gebetet.
Er stieg wieder ins Auto, fuhr langsam auf die Mauthäuschen zu und zog seine
Kreditkarte hervor, um zu bezahlen.
Es war gegen Mittag, als er das
Dorf erreichte, in dem Houellebecq lebte, aber die Straßen waren menschenleer.
Begegnete man auf den Straßen dieses Dorfes überhaupt jemals einer Menschenseele?
In regelmäßiger Folge wechselten sich mit alten Dachziegeln gedeckte
Kalksteinhäuser, die wohl für diese Region typisch waren, mit weiß gekalkten
Fachwerkhäusern ab, die man eher in einer ländlichen Gegend der Normandie anzutreffen
erwartet hätte. Die Kirche mit den efeubewachsenen Strebebögen wies Spuren
einer eifrig betriebenen Renovierung auf; ganz offensichtlich nahm man das
Kulturerbe hier ernst. Überall stieß man auf Ziersträucher und Rasenflächen,
Schilder aus dunklem Holz luden den Besucher zu einer Entdeckungsfahrt bis an
die Grenzen der Puisaye ein. In der Mehrzweckhalle fand eine ständige
Ausstellung über die lokale Handwerkstradition statt. Das ganze Dorf wurde
vermutlich schon seit langem nur noch zeitweilig von Ferienhauseigentümern
bewohnt.
Das Haus des Schriftstellers lag etwas
außerhalb des Dorfes, seine Wegbeschreibung war außerordentlich klar gewesen,
nachdem es Jed gelungen war, ihn am Telefon zu erreichen. Er habe einen langen
Spaziergang mit seinem Hund gemacht, hatte er Jed gesagt, einen langen
Spaziergang durch die vereisten Felder und Wiesen; er freue sich darauf, ihn
zum Mittagessen einladen zu können.
Jed stellte seinen Wagen vor dem
Gartentor eines großen Langhauses mit weiß gekalkten Wänden und einem
angebauten Seitenflügel ab. Er löste den Kasten mit dem Gemälde vom
Dachgepäckträger und zog an der Klingelschnur. Sofort ertönte im Haus lautes
Bellen. Ein paar Sekunden später öffnete sich die Tür, und ein großer,
schwarzer struppiger Hund rannte bellend auf das Gartentor zu. Dann tauchte der
Autor der Elementarteilchen in einer Lammfelljacke und einer Cordhose auf. Er
hatte sich verändert, stellte Jed sofort fest. Er war robuster, vermutlich auch
muskulöser geworden und kam mit energischen Schritten auf ihn zu, auf seinen
Lippen lag ein Lächeln des Willkommens. Aber gleichzeitig hatte er abgenommen,
sein Gesicht war mit feinen Ausdrucksfalten übersät, und sein sehr kurz
geschnittenes Haar war weiß geworden. Er glich, wie sich Jed sagte, einem Tier,
das seinen Winterpelz angelegt hat.
Im Kamin des Wohnzimmers brannte
ein großes Feuer. Sie nahmen auf flaschengrünen Samtsofas Platz. »Es waren noch
ein paar Möbel aus meiner Kindheit da«, sagte Houellebecq. »Die anderen habe
ich auf einem Trödelmarkt gekauft.« Er hatte einen Teller mit Wurstscheiben und
Oliven auf einen niedrigen Tisch gestellt und öffnete eine Flasche Chablis. Jed
holte das Porträt aus dem Kasten hervor und lehnte es an das Rückenpolster des
Sofas. Houellebecq warf einen leicht zerstreuten Blick darauf, dann sah er sich
im Raum um. »Vielleicht über dem Kamin, da würde es gut hinpassen, finden Sie
nicht?«, meinte er schließlich. Das war das Einzige, was ihn zu interessieren
schien. Vielleicht war das gar nicht so verkehrt, sagte sich Jed, was war ein
Bild denn schon anderes als ein besonders teures Einrichtungsstück? Er trank in
kleinen Schlucken aus seinem Glas.
»Soll ich Ihnen das Haus zeigen?«,
fragte Houellebecq. Jed nahm das Angebot natürlich an. Das Haus gefiel ihm gut,
es erinnerte ihn ein wenig an das seiner Großeltern; allerdings ähneln diese
alten Landhäuser sich alle mehr oder weniger. Außer dem Wohnzimmer gab es eine
große Küche und dahinter eine Anrichte, die
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