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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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Regelmäßigkeit abwechselnd quälen und nerven?
    »Wirklich, Thomas, du solltest beim Frühstück besser aufpassen. Du hast einen riesengroßen Dotterklecks auf deinem Hemd.«
    Tom schaut erschrocken an sich herunter. »Ich seh nichts!«
    »Doch« – ich tippe an seinen Kopf – »hier.«
    »Was?«
    »April, April!«
    Sein Mund verzieht sich zu einem schiefen Lächeln. »Aber es ist noch gar nicht April.«
    »Ja«, sage ich und marschiere in flottem Tempo voraus. »Und trotzdem bist du ein Dummkopf.«
    Eine Krankenschwester in einer gestärkten weißen Schürze weist uns den Weg zu einer kleinen Aussichtsplattform. Dort sitzt ein Mann ausgestreckt in einem geflochtenen Liegestuhl, eine karierte Decke über seine Beine gebreitet. Ich erkenne Vater zuerst nicht. Er ist so furchtbar dünn.
    Tom räuspert sich. »Hallo, Vater. Du siehst gut aus.«
    »Ja, von Tag zu Tag besser. Gemma, Liebling, du bist noch schöner geworden, kommt mir vor.«
    Er wirft mir nur einen kurzen Blick zu, als er das sagt. Wir sehen einander nicht mehr an. Nicht richtig. Nicht, seit ich ihn aus dieser Opiumhöhle gezerrt habe. Wenn ich ihn jetzt anschaue, sehe ich den Süchtigen. Und wenn er mich anschaut, sieht er, woran er lieber nicht erinnert werden möchte. Ich wünschte, ich könnte wieder sein geliebtes Mädchen sein, das auf seinem Schoß sitzt.
    »Du bist zu freundlich, Vater.« Fröhlich und unbeschwert, Gemma. Ich lächle schmerzlich. Er ist so dünn.
    »Schöner Tag heute, nicht wahr?«, sagt Vater.
    »Oh ja. Ein herrlicher Tag.«
    »Die Gärten hier sind wunderschön«, sage ich.
    »Ja, das sind sie wirklich«, pflichtet Tom bei.
    Vater nickt abwesend. »Ah.«
    Ich sitze am äußersten Rand meines Stuhls, sprungbereit, und reiche ihm eine kunstvoll in Goldfolie eingewickelte Schachtel, garniert mit einer großen roten Schleife. »Ich hab dir diese Pfefferminzbonbons mitgebracht, die du so magst.«
    »Ah«, sagt er und nimmt sie teilnahmslos entgegen. »Danke, Liebling. Thomas, hast du über die Hippokrates-Gesellschaft nachgedacht?«
    Tom runzelt die Stirn.
    »Was ist die Hippokrates-Gesellschaft?«, frage ich.
    »Ein vornehmer Klub von Naturwissenschaftlern und Ärzten, lauter bedeutenden Männern der Wissenschaft. Sie haben Interesse an unserem Thomas bekundet.«
    Das scheint genau das Richtige für Tom zu sein, da er medizinischer Assistent am Königlichen Bethlem-Hospital – kurz Bedlam – und, trotz seiner vielen Fehler, ein begabter Arzt ist. Medizin und Naturwissenschaften sind seine Leidenschaft, daher verstehe ich seine finstere Miene in Bezug auf die Hippokrates-Gesellschaft nicht.
    »Sie interessiert mich nicht«, sagt Tom bestimmt.
    »Warum nicht?«
    »Die meisten ihrer Mitglieder sind zwischen vierzig und dem Tod«, sagt Tom verächtlich.
    »Es weht ein hehrer Geist in jenen Hallen, Thomas. Du wärest gut beraten, das zu würdigen.«
    Tom nimmt sich ein Pfefferminzbonbon. »Es ist nicht der Athenäum-Klub.«
    »Du steckst deine Ziele ein wenig hoch, nicht wahr, alter Junge? Das Athenäum nimmt nur seinesgleichen auf und wir sind nicht seinesgleichen«, sagt Vater mit Entschiedenheit.
    »Ich vielleicht doch«, beharrt Tom.
    Tom wünscht sich verzweifelt, in der allervornehmsten Londoner Gesellschaft akzeptiert zu werden. Vater hält das für dumm. Ich hasse es, wenn sie sich streiten, und ich will nicht, dass Tom Vater jetzt aufregt.
    »Papa, ich höre, du kommst bald nach Hause«, sage ich.
    »Ja, sie haben es mir angekündigt. Kerngesund, dein alter Herr.« Er hustet.
    »Wie schön«, sagt Tom ohne echte Begeisterung.
    »Ja, das finde ich auch«, stimmt Vater zu.
    Daraufhin verfallen wir in Schweigen. Eine Schar Gänse watschelt über den Rasen, als wären auch sie vom Weg abgekommen. Ein Gärtner scheucht sie zu dem Teich in einiger Entfernung. Aber uns hilft niemand auf einen neuen Weg und so sitzen wir da, reden über belanglose Dinge und vermeiden es, irgendetwas von Bedeutung zu sagen. Schließlich kommt eine Krankenschwester, eine sympathische Frau mit einem Mondgesicht und kupferrotem, ergrauendem Haar, auf uns zu.
    »Guten Tag, Mr Doyle. Es ist Zeit für die Wasserkur, Sir.«
    Vater lächelt erleichtert. »Miss Finster, wie ein Sonnenstrahl an einem trüben Tag. Sie erscheinen und alles ist gut.«
    Miss Finster grinst von einem Ohr bis zum anderen. »Ihr Vater ist ein großer Charmeur.«
    »Also dann fort mit euch«, sagt Vater zu uns. »Ich will nicht, dass ihr euren Zug nach London versäumt.«
    »Ach ja,

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