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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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immerhin Männer der Wissenschaft und der Medizin«, sage ich, ohne auf seine überhebliche Bemerkung einzugehen. »Sie teilen deine Interessen.«
    »Sie genießen nicht das gleiche Ansehen wie der Athenäum-Klub. Da liegt die wahre Zukunft. Und wie ich höre, votieren die Männer von Hippokrates dafür, auch Frauen aufzunehmen.« Mein Bruder schnaubt. »Frauen! In einem Herrenklub!«
    »Ich liebe sie schon jetzt«, sage ich.
    Er schmunzelt. »Das dachte ich mir.«

6. Kapitel
    Als ich unser Haus in Belgravia das letzte Mal gesehen habe, war es in winterliche Ödnis gehüllt. Und nun lacht uns das frische Grün knospender Bäume entgegen, die so stolz und stramm stehen wie die königlichen Wachen, während wir durch den Hyde Park kutschieren. Märzenbecher prunken mit ihren nagelneuen gelben Mützen. London strahlt.
    Nicht jedoch unsere Haushälterin, Mrs Jones. Sie empfängt mich an der Tür, in ihrem schwarzen Kleid mit weißer Schürze, einem weißen Käppchen wie ein Untersatz auf dem Kopf und einem so unbewegten Gesichtsausdruck, dass ich erwäge, ihr ein Glas an den Mund zu halten, um zu sehen, ob sie noch atmet.
    »Wie war Ihre Reise, Miss?«, fragt sie teilnahmslos.
    »Danke, sehr angenehm.«
    »Sehr gut, Miss. Dann lasse ich also Ihr Gepäck auf Ihr Zimmer bringen, wenn Sie gestatten.«
    »Ja, danke.«
    Wir geben uns solche Mühe, höflich zu sein. Wir sagen nie, was wir meinen. Genauso gut könnten wir bei der Begrüßung über Käse reden – »Wie war Ihr Limburger, Miss?«
    »Danke, scharf wie ein reifer Olmützer Stinkkäse.«
    »Ah, sehr Gouda, Miss. Dann lasse ich also Ihren Parmesan auf Ihren Camembert bringen.« – und niemand würde es bemerken.
    »Ihre Großmutter erwartet Sie im Salon, Miss.«
    »Danke.« Ich kann es mir nicht verbeißen. »Ich begebe mich also in den Bel Paese.«
    »Wie Sie wünschen, Miss.«
    Und da sind wir nun. Nur schade, dass meine boshafte Bemerkung verpufft ist und von niemandem gewürdigt wurde außer von mir.
    »Du hast dich verspätet«, sagt Großmama, kaum dass ich die Tür zum Wohnzimmer öffne. Ich verstehe ihren Vorwurf nicht, da ich weder der Kutscher noch das Pferd war. Sie misst mich von Kopf bis Fuß mit einem abschätzigen Blick. »Wir sind bei Mrs Sheridan zum Tee eingeladen. Du wirst dich natürlich umziehen wollen. Und was ist mit deinem Haar geschehen? Ist das jetzt Mode in Spence? Nein, so geht das nicht. Halt still.« Großmama zieht mein Haar so fest nach oben, dass mir Tränen in die Augen steigen. Sie steckt es mit drei Nadeln fest, die fast meinen Schädel durchbohren. »Viel besser. Eine Dame muss immer das Beste aus sich machen.«
    Sie läutet eine Glocke und unsere Haushälterin erscheint wie ein Phantom. »Ja, Ma’m?«
    »Mrs Jones, Miss Doyle braucht Hilfe beim Ankleiden. Ihr graues Wollkostüm, denke ich. Und ein anderes Paar Handschuhe, die nicht aussehen wie die der Putzfrau«, sagt sie und betrachtet missbilligend meine schmutzigen Fingernägel.
    Ich bin noch kaum eine Minute zu Hause und schon im Belagerungszustand. Ich nehme den Anblick des Wohnzimmers in mich auf- die schweren burgunderroten Samtvorhänge, die dunkelgrünen Wandtapeten, den Schreibtisch und die Bücherschränke aus Mahagoniholz, den Orientteppich und den riesigen Farn in einem schweren Topf. »Dieses Zimmer könnte ein wenig Licht vertragen.« Ha. Wenn sie Kritik hören will, ist sie jetzt am Zug.
    Großmamas zieht die Stirn in sorgenvolle Falten. »Es ist ein elegantes Zimmer, oder etwa nicht? Willst du sagen, dass es nicht elegant ist?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Nur dass es schön wäre, das Tageslicht hereinzulassen.«
    Großmama betrachtet sinnend die Vorhänge. Aber die Besinnung ist nur von kurzer Dauer und schon kanzelt sie mich wieder ab wie einen Schuhputzer. »Die Sonne würde nur das Sofa ausbleichen. Und nachdem wir nun die Frage der Einrichtung geklärt haben, würdest du gut daran tun, dich umzuziehen. Um halb brechen wir auf.«
    *
    Ein schweigsames Mädchen führt uns in Mrs Sheridans wohlausgestattete Bibliothek.
    Der Anblick so vieler Bücher tröstet mich ein wenig. Mrs Jones hat mich so fest in mein Korsett eingeschnürt, dass schon ein zweiter Schluck Tee garantiert wieder herauskommen würde. Fünf andere Mädchen sind mit ihren Müttern gekommen. Mit Schrecken stelle ich fest, dass ich kein einziges von ihnen kenne. Sie scheinen einander hingegen sehr wohl zu kennen. Was noch schlimmer ist, niemand außer mir wurde gezwungen, ein graues

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