Kartiks Schicksal
Wollkostüm zu tragen. Sie sehen frisch wie der junge Frühling aus, wogegen ich einer altjüngferlichen Tante ähnle, die jedes Mädchen als Anstandsdame fürchtet. Nur knapp widerstehe ich der Versuchung, meiner Nachbarin zuzuflüstern: »Falls ich während des Tees tot umfallen sollte – erstickt durch mein eigenes Korsett –, bitte lass nicht zu, dass sie mich in diesem abscheulichen Kostüm beerdigen, sonst komme ich als Gespenst wieder und verfolge dich.«
Ich mache mir keine Illusionen, dass das hier einfach ein Teetisch ist; es ist ein Marktplatz und wir Mädchen sind die Waren. Während die Mütter sich unterhalten, schlürfen wir schweigend unseren Tee und spiegeln ihr Lächeln in unseren Gesichtern. Wir dürfen nur reden, wenn wir dazu aufgefordert werden, und sollen die Meinung der anderen wie ein Echo wiedergeben. Wir bemühen uns gemeinsam, die klare, schöne Oberfläche dieses Lebens zu erhalten und uns nie zu erkühnen, sie aufzuwühlen.
Mit jeder Frage, jedem Blick werden wir nach der genauen Skala ihrer Wertvorstellungen gemessen, schwankend zwischen den Extremen ihrer Erwartungen und Enttäuschungen. Dieses Mädchen lacht zu viel. Jenes hat zu stumpfes Haar und eine unreine Haut. Das Gesicht der einen trägt einen mürrischen Ausdruck; und eine andere rührt viel zu lang in ihrem Tee, während dieses unglückselige Ding zu äußern wagt, dass sie den Regen »romantisch« findet, um strikt belehrt zu werden, dass der Regen gut für die Rosen ist und den Rheumatismus fördert. Zweifellos wird ihre Mutter sie in der Kutsche erbarmungslos ins Gebet nehmen und prompt die Schuld auf die Gouvernante schieben.
Für ein Weilchen stellen uns die Frauen Fragen: Freuen wir uns auf unsere Debüts? Hat uns diese Oper oder jenes Theaterstück gefallen? Sie lächeln zu unseren dünnen Antworten und ich kann nicht lesen, welche Gedanken sich hinter ihren glatten Stirnen verbergen. Beneiden sie uns um unsere Jugend und Schönheit? Sehen sie dem Leben, das uns erwartet, freudig und aufgeregt entgegen? Oder wünschten sie sich, noch einmal eine neue Chance für ihr eigenes Leben zu bekommen? Eine andere Chance?
Bald sind die Mütter müde, uns in die Unterhaltung einzubeziehen. Sie beginnen über Dinge zu reden, die nichts mit uns zu tun haben. Während eines Spaziergangs durch Mrs Sheridans Gartenanlagen – auf die sie äußerst stolz ist, obwohl der Gärtner die ganze Arbeit gemacht hat – werden wir unserem eigenen Einfallsreichtum überlassen, Gott sei Dank.
»Habt ihr Lady Markhams Stirnreif gesehen? Ist es nicht unbeschreiblich? Ich würde alles dafür geben, nur für einen Moment ein solches Stirnreif zu tragen.«
»Übrigens, um auf Lady Markham zurückzukommen, ich nehme an, ihr habt den neuesten Klatsch gehört?«, sagt ein Mädchen namens Annabelle.
Die anderen spitzen sofort die Ohren. »Annabelle, um was geht es? Was ist passiert?«
Annabelle stößt einen tiefen Seufzer aus, aber eine gewisse Genugtuung schwingt darin mit. »Ich bin durch ein Versprechen gebunden und breche es nur, wenn ihr versprecht, es auf keinen Fall weiterzusagen.«
»Oh ja!«, versichern die Mädchen und denken zweifellos schon darüber nach, wer die prickelnde Nachricht zuerst erfahren soll.
»Ich habe gehört, dass Lady Markham ihren Sinn geändert hat und Felicity Worthington vielleicht doch nicht bei Hof vorstellen wird.«
Die Mädchen halten sich ihre behandschuhten Hände an den Mund, aber ihre Schadenfreude blitzt darunter hervor wie ein verrutschter Unterrock. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Soll ich ihnen sagen, dass Felicity und ich Freundinnen sind? Wissen sie es?
Der Chor setzt ein: »Ach du meine Güte! Arme Felicity.« – »Was für ein Skandal.« – »Aber sie ist so ein freches Ding.« – »Stimmt. Es ist ihre eigene Schuld.« – »Ich bewundere sie, aber..« – »Genau.«
Annabelle mischt sich ein. Sie ist eindeutig die Königin in diesem Bienenschwarm. »Mit ihrer losen Zunge macht sie sich bei den Damen, auf die es ankommt, nicht beliebt. Und dann ist da die zweifelhafte Sache mit ihrer Mutter.«
»Oh, worum handelt es sich da? Ich hasse meine Gouvernante, weil sie mir nie etwas sagt!«, ruft ein Mädchen mit Apfelwangen und einem Kirschenmund.
Annabelles Augen funkeln. »Vor drei Jahren ist Mrs Worthington ins Ausland gereist, während ihr Gatte, der Admiral, auf See war. Aber jeder weiß, dass sie davongelaufen und zu ihrem Liebhaber nach Paris gezogen ist! Wenn Admiral Worthington
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