Kartiks Schicksal
denken, was in seinen zerfetzten Kleidern nistet. Mir dreht sich der Magen um und ich muss durch den Mund atmen, um mich nicht zu erbrechen.
»Wie steht’s mit der Schatzsuche?«, fragt Kartik. Er lässt sich nichts anmerken, aber er hat seine Hand ans Kinn gelegt. Seine Finger bedecken seine Nase.
»Nicht doll, aber auch nicht so übel.« Toby streckt seine Hand vor. Darin ist eine seltsame Sammlung – ein kleiner Brocken Kohle, zwei Haarnadeln, ein Zahn, ein Schilling. Jedes einzelne Stück ist schmutzverkrustet. Er grinst breit und entblößt dabei eine Zahnlücke. »Das gibt ’n Pint Bier.« Toby betrachtet mich misstrauisch. »’ne Lady in Männerhosen?« Ich bin sicher, der Schreck ist mir anzusehen.
Kartik zieht eine Augenbraue hoch. »Nicht jeder ist zu täuschen.«
Toby lässt die Beute in seiner Hand klingeln. »Sie ist keine Schönheit, Kumpel, scheint aber sauber zu sein. Wie viel?«
Ich verstehe nicht gleich, aber als der Groschen fällt, packt mich eine maßlose Wut.
»Also …«
Kartik umschließt meine Faust und hält sie eisern fest. »Tut mir leid, Kumpel. Sie gehört zu mir«, sagt er.
Toby zuckt mit den Schultern und rückt seine schmierige Mütze zurecht. »Hab mir nichts dabei gedacht.«.
Big Ben verkündet die volle Stunde. Der mächtige Glockenschlag durchschneidet den Nebel und ich fühle ihn bis in meinen Bauch.
»Machen wir einen Spaziergang, ja?«, sagt Toby.
»Vergiss es«, zische ich.
Sie ist keine Schönheit, Kumpel. Er hat mich für nichts Besseres als eine Dirne gehalten, und trotzdem, wie kommt es, dass mir diese Bemerkung einen Stich versetzt?
Toby führt uns zu einem Steg, auf dem sich leere Kisten stapeln und der nur von einer rußigen Lampe beleuchtet ist. »Das ist ein guter Platz«, sagt er.
Kartik blickt sich um. »Da gibt’s keinen Fluchtweg. Man könnte hier leicht in die Enge getrieben werden.«
»Wie denn?«, fragt Toby. »Da sind überall Schiffe.«
»Und die Männer auf ihnen sind betrunken oder sie schlafen. Oder es sind genau die, die wir lieber nicht näher kennenlernen«, wendet Kartik ein.
»Denkst du, ich bin blöd?«, sagt Toby herausfordernd.
»Kartik«, sage ich warnend.
»Also gut.« Kartik gibt nach. »Gemma, das Geld.«
Ich gebe ihm den kleinen Beutel mit den fünf Pfund. Es ist alles Geld, das ich habe, und es fällt mir schwer, mich davon zu trennen. Er reicht den Beutel Toby, der ihn öffnet, die Münzen zählt und in seine Tasche steckt.
»Also«, sagt Kartik. »Was hast du über Mr Doyle herausgefunden?«
Ich blicke von Kartik zu Toby und wieder zurück. »Um den zu treffen, sind wir hergekommen?«
»Toby macht sich manchmal als Laufbursche nützlich. Er weiß, wie man an Informationen kommt.«
Toby grinst von einem Ohr bis zum anderen. »Ich kann alles herausfinden. Bei meinem Leben.«
»Aber das sollte ein Treffen mit den Rakschana sein«, protestiere ich. Ich will mein Geld zurück.
»Zuerst sammeln wir Informationen, damit wir wissen, woran wir sind«, erklärt Kartik. »Wenn wir ein Treffen mit ihnen vereinbaren, würden sie uns mit Sicherheit gefangen nehmen. Ich war einer von ihnen. Ich weiß es.«
»Also gut«, knirsche ich.
Die Boote draußen auf der Themse schaukeln in der Strömung. Es hat etwas Beruhigendes und Vertrautes an sich.
»Sie nehmen ihn auf. Haben schon ’ne Initiation vorbereitet und alles«, sagt Toby. »Weiß allerdings nicht, wie viel sie ihm gesagt haben.«
»Ist Mr Fowlson der, der ihn aufgenommen hat?«, fragt Kartik.
Toby schüttelt den Kopf. »Fowlson ist dem sein Handlanger. Irgendwer von der Spitze hat das verlangt. Ein Gentleman.« Er zeigt zum Himmel. »Jemand von ganz oben.«
»Weißt du, wer?«
»Nein. Das ist alles, was ich weiß.«
»Ich möchte diesen Gentleman finden«, beharre ich.
»Fowlson ist sein Kontaktmann. Er kennt ihn.«
Ein Echo von Schritten hinter uns. Begleitet von einem munteren Pfeifen, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Kartik verengt seine Augen. »Toby.«
Mit einem bedauernden Schulterzucken und einem traurigen Lächeln macht sich der dreckige Kerl aus dem Staub. »Tut mir leid, Kumpel. Er hat mir sechs Pfund gegeben und meine Mum ist schrecklich krank.«
»Ach nein, was ha’m wir ’n da? Von den Toten auferstanden, Bruder?« Ein Paar schwarze Stiefel glänzen unter dem Lampenlicht. Mr Fowlson schält sich aus der Dunkelheit, flankiert von einem großen Mann. Auf der anderen Seite des Stegs nähern sich zwei von seinen Kumpanen. Hinter
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