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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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Blechbüchse mit einem Penny darin. »Bitte, Sir, ein kleines Almosen.«
    Kartik wirft eine Münze hinein und das ist wahrscheinlich alles, was er hat.
    »Warum haben Sie das getan?«, frage ich.
    Er balanciert einen Stein auf dem Boden geschickt zwischen seinen Füßen wie einen Ball. »Sie braucht es.«
    Vater sagt, man sollte Bettlern kein Geld geben. Sie würden es nur für Alkohol und andere Vergnügungen ausgeben. »Sie könnte sich davon Bier kaufen.«
    Er zuckt die Schultern. »Dann soll sie Bier haben. Es geht nicht um das Geld, es geht um die Hoffnung.« Er kickt den Stein in einem hohen Bogen über ein paar Stufen. »Ich weiß, was es heißt, für Dinge zu kämpfen, die für andere selbstverständlich sind.«
    Wir haben die überfüllten Ankerplätze erreicht, wo sich alle Arten von Booten drängen, von kleinen Dingis bis zu großen Schiffen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie dort hinein- und herauskommen, denn die Schiffe liegen so dicht nebeneinander, dass man leicht vom Bug des einen auf den des anderen steigen könnte, ohne nass zu werden. Die Boote säumen die Landungsstege und Docks, um entladen zu werden und Frachtgut aufzunehmen.
    Kleine Stufen führen zum Ufer hinunter. Ich warte, dass Kartik mir seinen Arm anbietet. Stattdessen macht er sich ohne mich auf den Weg, die Hände in seinen Manteltaschen vergraben.
    »Worauf warten Sie?«, fragt er.
    »Auf gar nichts«, sage ich und nehme die Stufen in ziemlich flottem Tempo.
    Kartik verdreht die Augen zum Himmel. »Warum können Sie nicht sagen, was Ihnen nicht passt? Bringt man Ihnen das bei? Wie soll man sich da auskennen?«
    Am Fuß der Treppe halte ich an und stehe ihm in dem schwachen bläulichen Licht Auge in Auge gegenüber. »Wenn Sie es wissen wollen, Sie hätten mir oben Ihren Arm anbieten können, um mir zu helfen.«
    Er zuckt die Schultern. »Warum? Sie haben zwei eigene.«
    Ich bemühe mich, meine Fassung zu bewahren. »Es ist üblich, dass ein Herr einer Dame die Stufen hinunterhilft.«
    Er grinst spöttisch. »Ich bin kein Herr. Und Sie sind heute Nacht keine Dame.«
    Ich will widersprechen, aber gewissermaßen hat er recht. Schließlich folgen wir der Themse, ohne ein weiteres Wort zu wechseln. Der große Fluss schwappt mit einem rhythmischen Plätschern an die Ufer. Ich höre Stimmen von unten heraufdringen.
    »Hier entlang«, sagt Kartik und läuft in die Richtung, aus der sie kommen. Die Stimmen werden lauter. Ihr Akzent ist hart und rau. Der Weg wird immer schlammiger, während sich der Nebel lichtet. Im seichten Wasser sind wohl ein Dutzend Menschen verschiedenen Alters – von Greisinnen bis zu Kindern mit schmutzverschmierten Gesichtern.
    Eine der alten Frauen singt ein Seemannslied, unterbrochen von heftigen Hustenanfällen. Ihr Kleid hängt praktisch nur noch in Fetzen an ihrem Körper. Während sie singt, taucht sie ein flaches Gefäß ins Wasser und holt es wieder heraus. Mit raschen Fingern durchsucht sie es, indem sie es schüttelt, um Dinge herauszufischen, die ich lieber nicht näher betrachten möchte.
    »Mud Larks« ,erklärt Kartik. »Schmutzfinken. Sie durchstöbern den Uferschlamm der Themse nach allem, was sie noch verkaufen oder verwenden können – Lumpen, Knochen, ein Stück Blech oder Kohle von einem vorbeifahrenden Schiff. Wenn sie Glück haben, finden sie die Geldbörse von einem Matrosen, der ein böses Ende gefunden hat – falls ihnen nicht schon die Bootsmänner mit ihren Haken zuvorgekommen sind.«
    Ich schneide ein Gesicht. »Aber in der Themse herumzustochern …«
    Kartik zuckt die Schultern. »Immer noch besser als in den Abwasserkanälen, glauben Sie mir.«
    »Was für ein elendes Dasein.«
    Kartik nimmt einen harten Ton an. »Es ist ein Kampf ums Überleben. Das Leben ist nicht immer gerecht.«
    Die Bemerkung tut weh und das soll sie auch. Wir verfallen in Schweigen.
    »Sie sind es, der immer von Schicksal und Bestimmung redet. Wie erklären Sie denen ihr Schicksal? Ist es ihre Bestimmung, so zu leiden?«
    Kartik schiebt die Hände in seine Taschen. »Leiden ist nicht Schicksal. Unwissenheit auch nicht.«
    »He! Kartik!« Einer der Burschen stapft aus dem Schlamm und Schlick des Flusses auf uns zu. »Hab auf dich gewartet, Kumpel«
    »Hab mich verspätet, Toby.« Kartik entschuldigt sich mit einer Verbeugung bei dem schmutzstarrenden Jungen.
    Toby kommt näher und sein Geruch auch. Es ist eine grässliche Mischung aus abgestandenem Flusswasser, Abfall und Schlimmerem. Ich wage nicht zu

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