Kartiks Schicksal
Magische Reich«, sagt Felicity. Die Vorfreude leuchtet aus ihren Augen. »Es ist eine Ewigkeit her, nicht wahr, Ann?«
»So kommt es mir vor«, bestätigt Ann.
»Also gut. Gebt mir einen Moment.«
»Wovon hast du geträumt?«, fragt Ann.
»Ich erinnere mich nicht. Warum?«
»Du weinst«, sagt sie.
Ich fasse mit den Fingern an meine nassen Wangen.
Felicity wirft mir meinen Mantel zu. »Wenn wir nicht bald losgehen, verliere ich noch den Verstand.«
Ich schließe meinen Mantel und stecke meine Finger und meine Tränen tief in die Tasche, sodass es ist, als existierten sie gar nicht.
46. Kapitel
Sobald wir unseren Fuß ins Niemandsland setzen, haben wir das Gefühl, als habe es sich verändert. Alles scheint in Unordnung geraten zu sein. Die Ranken der Schlinggewächse sind knöcheltief. Raben haben sich auf den höchsten Wipfeln der Fichten niedergelassen und hocken dort wie Tintenkleckse. Auf dem Weg zur Burg folgen sie uns von Ast zu Ast hüpfend.
»Es ist, als würden sie uns beobachten«, flüstert Ann.
Die Fabrikmädchen laufen uns nicht wie sonst entgegen.
»Wo sind sie? Wo ist Pippa?« Felicity beschleunigt ihre Schritte.
Die Burg ist verlassen. Und so wie ihre Umgebung ist sie verwildert und verwahrlost. Die Blumen sind verwelkt und Raupen kriechen an ihren roten Schoten entlang. Ich trete in einen schimmeligen Fleck und ziehe meinen Stiefel angewidert heraus.
Wir gehen durch die überwucherten Räume und rufen dabei die Namen der Mädchen, aber niemand antwortet. Ich höre ein leises Rascheln hinter einem Wandteppich. Ich ziehe ihn zur Seite und da ist Wendy, mit schmutzigem, tränenüberströmtem Gesicht. Ihre Finger sind blau.
»Wendy? Was ist geschehen? Warum versteckst du dich?«
»’s ist dieses Geschrei, Miss«, schluchzt sie. »War schon immer ’n bisschen. Jetzt hör ich’s dauernd.«
Felicity schaut hinter jeden Wandteppich, für den Fall, dass alles ein Versteckspiel ist und sie eine nach der andern lachend auftauchen werden. Enttäuscht lässt sie sich auf Pippas Thron fallen. »Wo sind sie alle?«
»Sie sind wie vom Erdboden verschluckt.« Ann öffnet eine Tür, aber dahinter sind nur noch mehr Ranken, sonst nichts.
Wendy schaudert. »Manchmal wach ich auf und hab das Gefühl, ich bin die einzige Menschenseele weit und breit.«
Sie fasst mit ihren flatternden, blau gefleckten Fingern nach dem Korb mit den Beeren, die Pippa gesammelt hat. Die Beeren, die daran schuld waren, dass unsere Freundin hier gelandet ist. Ich bemerke, dass auch Wendys Mund blau gefleckt ist.
»Wendy, hast du die Beeren gegessen?«
Ihr Gesicht zeigt Angst. »Es ist alles, was da war, Miss, und ich war so hungrig.«
»Beruhige dich«, sage ich. Was soll ich auch sonst sagen.
»Ich steige auf den Turm, um Ausschau zu halten«, sagt Felicity und ich höre, wie sie mit flinken Füßen die zerbröckelnden Stufen hinaufläuft.
»Ich fürchte mich, Miss«, sagt Wendy und vergießt neue Tränen.
»Na, na.« Ich streichle ihre Schulter. »Wir sind da. Alles wird gut. Und was ist mit Mr Darcy? Wo ist dein pelziger Freund?«
Wendys Lippen zittern. »Bessie hat gesagt, er hat seinen Käfig durchgenagt und ist weggelaufen. Hab nach ihm gerufen und gerufen, aber er kommt nicht.«
»Weine nicht. Wir wollen sehen, ob wir ihn nicht finden können. Mr Darcy«, rufe ich. »Sie sind ein sehr schlimmes Kaninchen.«
Ich suche überall, wo sich ein boshaftes Kaninchen verstecken könnte – im Beerenkorb, unter den modrigen Teppichen, hinter Türen. Ich schaue in den Käfig, der auf dem Altar in der Kapelle steht. Es ist keine Spur von einem durchgenagten Zweig zu sehen. Aber die Tür des Käfigs steht offen.
»Sucht ihr eure Freundinnen?« Die kleine Elfe leuchtet hell in einer dunklen Ecke. »Vielleicht sind sie in die Winterwelt zurückgekehrt.«
Im selben Moment stürzt Felicity in den Raum. »Pippa würde nicht ohne mich gehen.«
»Bist du sicher?«, fragt das geflügelte Wesen.
»Ja«, sagt Felicity, aber ihr Gesicht verdüstert sich und sie wirft einen raschen Blick in die Richtung der Winterwelt.
»Jemand kommt«, sagt die Elfe. Blitzschnell flattert sie aus der Burg. Felicity, Ann und ich jagen ihr in den Wald nach. Von jenseits der Brombeerhecke kommt eine Staubwolke auf uns zu. Es sind die schnell heranreitenden Zentauren. Sie halten plötzlich an, da sie die Grenze zum Niemandsland nicht zu überschreiten wagen.
Einer der Zentauren ruft mir durch die Dornen zu: »Philon verlangt nach dir,
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