Kartiks Schicksal
Magie durch meine Adern. Und bevor ich es verhindern kann, kippt Cecily aus ihrer graziösen Pirouette. Sie schwankt, versucht Halt zu finden, verdreht sich dabei schmerzhaft den Knöchel und landet mit einem lauten Krach auf dem Boden.
Alle schreien auf. Cecilys Hände fliegen an ihren blutenden Mund und ihren verstauchten Knöchel, als könnte sie nicht entscheiden, was mehr wehtut. Sie bricht in Tränen aus.
»Gütiger Himmel!«, ruft Mrs Nightwing. Alle Mädchen außer mir stürzen zu Cecily. Ich stehe nur da, die Glieder immer noch durchpulst von Magie, und beobachte. Ein Geschirrtuch wird Cecily für ihre blutende Lippe gereicht. Sie schluchzt, während Mrs Nightwings wenig mitleidig meint, sie solle kein solches Theater machen.
Meine Haut kribbelt noch immer von der Magie. Ich reibe meine Arme, als könne ich sie dadurch austreiben. Ich bin überwältigt von dem Geschrei, der Aufregung, der Verwirrung und schwach – ganz schwach – höre ich das Kratzen von Flügeln. Etwas leuchtet in der Ecke, in der Nähe der Vorhänge. Ich gehe näher. Es ist die Nymphe, die ich neulich nachts gesehen habe. Die Nymphe, die sich aus der Säule befreit hat. Sie versteckt sich in einer Falte des Samtvorhangs.
»Wie … wie bist du hierhergekommen?«, frage ich.
»Bin ich da? Siehst du mich? Oder ist es nur dein Verstand, der dir sagt, dass ich da bin?«
Sie flattert über meinem Kopf. Ich versuche sie zu fangen, bekomme aber nur Luft zu fassen.
»Lustig. Was du mit dieser Sterblichen gemacht hast.« Sie kichert. »Das gefällt mir.«
»Es war gar nicht komisch«, sage ich. »Es war schrecklich.«
»Du hast mit deiner Magie bewirkt, dass sie stürzt. Du bist sehr mächtig.«
»Ich wollte nicht, dass sie stürzt!«
»Miss Doyle? Mit wem sprechen Sie?«, fragt Mademoiselle LeFarge. Ich habe die Aufmerksamkeit von Cecily abgelenkt. Sie beobachten jetzt mich.
Ich schaue in die Ecke zurück, aber dort ist nichts. Nur ein Vorhang. »Ich … ich …«
Vom anderen Ende des Zimmers blickt Miss McChennmine zwischen Cecily und mir hin und her. Ein alarmierter Ausdruck schleicht sich langsam in ihr Gesicht.
»Du hast es gemacht, stimmt’s?«, schluchzt Cecily. Echte Angst ist in ihren Augen. »Ich weiß nicht, wie sie es gemacht hat, Mrs Nightwing, aber sie hat es getan! Sie ist ein böses Mädchen!«
»Böse«, lispelt die Nymphe in meinem Ohr.
»Sei still!«, fauche ich sie an.
»Miss Doyle?«, sagt Miss LeFarge. »Wer …«
Ich antworte nicht und ich entschuldige mich nicht. Ich renne aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und aus der Tür. Es ist mir egal, ob ich dafür hundert Strafpunkte für schlechtes Benehmen bekomme und bis ans Ende meiner Tage die Böden schrubben muss. Ich renne an den erschrockenen Arbeitern vorbei, die die Vergangenheit des Ostflügels mit frischem weißem Kalk auszulöschen versuchen. Ich renne, bis ich den Weiher erreiche, wo ich mich ins Gras fallen lasse. Ich liege zusammengerollt auf der Seite, nach Atem ringend, schaue durch lange Grashalme auf den Weiher und lasse meinen Tränen freien Lauf.
Eine scheue braune Stute trottet aus dem Schutz der Bäume. Ihre Nüstern schnuppern am Wasser, doch sie trinkt nicht. Sie kommt näher und wir beobachten einander wachsam, zwei verlorene Geschöpfe.
Als die Stute auf mich zukommt, sehe ich, dass es Freya ist. Auf ihrem starken Rücken liegt ein Sattel und ich frage mich, wo der Reiter ist.
»Hallo, du«, sage ich. Sie schnaubt wie zur Antwort. Ich streichle ihre Nase und sie lässt es zu. »Komm«, sage ich und ergreife ihre Zügel. »Ich bring dich nach Hause.«
Die Zigeuner sind für gewöhnlich nicht besonders erfreut, mich zu sehen, aber heute erbleichen sie, als ich auf sie zukomme. Die Frauen schlagen die Hände an den Mund, wie um die Worte zurückzuhalten, die ihnen entschlüpfen könnten. Eine von ihnen ruft Kartik herbei.
»Freya, du schlimmes Mädchen! Wir haben uns Sorgen um dich gemacht«, sagt Kartik und legt seinen Kopf an die Nase des Pferdes.
»Ich habe sie unten am Teich gefunden«, sage ich kühl.
Kartik streichelt Freyas Nase. »Wo bist du gewesen, Freya? Wo ist Ithal? Haben Sie ihn gesehen, Miss Doyle?«
»Nein«, sage ich. »Sie war allein. Verlassen.« Eine verwandte Seele.
Kartik nickt ernst. Er führt die Stute zu ihrem Pferch und füttert sie mit Hafer. »Ithal ist gestern Nacht ausgeritten und nicht zurückgekehrt.«
Mutter Elena spricht in ihrer Sprache zu den anderen, die unruhig zuhören. Ein kleiner Schrei
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