Kartiks Schicksal
Priesterin.«
»Warum? Was ist passiert?«
»Es geht um Creostus. Er wurde ermordet.«
*
Unter den Olivenbäumen, wo einst die Runen des Ordens standen, liegt Creostus’ Leichnam mit zur Seite gebreiteten Armen. Seine Augen sind weit offen, aber sie sehen nicht. Mit einer Hand umklammert er eine vollkommene Klatschmohnblüte. Sie spiegelt die blutige Wunde in seiner Brust wider. Creostus und ich waren keine Freunde – sein Charakter war viel zu selbstherrlich –, aber er war so sehr lebendig. Es ist ein harter Schlag, ihn tot zu sehen.
»Was weißt du darüber, Priesterin?«, fragt Philon.
Ich kann meinen Blick kaum von Creostus’ leeren Augen losreißen. »Ich habe bis zu diesem Moment nichts davon gewusst.«
»Lügnerin.« Neela hüpft auf einen Felsblock. »Du weißt, wer dafür verantwortlich ist.« Sie verwandelt sich in Ascha – der orange Sari, die wunden Beine, die dunklen Augen.
»Ihr denkt, es waren die Hadschin«, sage ich.
»Du weißt, dass sie es waren! Creostus ist zu ihnen gegangen, um über Mohn zu verhandeln. Das hinterhältige Volk hat ihn um einen ganzen Bund betrogen. Jetzt finden wir ihn hier mit einer Mohnblume in der Hand. Wer sonst könnte dafür verantwortlich sein? Niemand sonst als die dreckigen Hadschin, mithilfe des Ordens!«
Neelas Stimme bebt vor Erregung. Sie streichelt liebevoll Creostus’ Gesicht. Weinend beugt sie sich zu seiner Brust herunter und wirft sich über seinen leblosen Körper.
Die Stimme der Medusa tönt vom Fluss her. »Der Orden kann streng sein, aber die Priesterinnen haben nie getötet. Und ihr vergesst, dass die Mitglieder des Ordens derzeit keinen Zugang zum Magischen Reich haben. Sie haben keine Macht hier.«
Neela sieht mich durchdringend an. »Und trotzdem habe ich die Priesterin auf ihrem Weg zum Tempel gesehen, allein.«
»Neela sagt die Wahrheit, denn wir waren bei ihr. Auch wir haben die Priesterin gesehen«, fügt ein Zentaur hinzu.
»Du lügst!«, springt Felicity mir bei. Aber meine Wangen glühen, was Philon nicht verborgen bleibt.
»Ist das wahr, Priesterin?«
Ich bin erledigt. Wenn ich ihnen sage, was ich weiß, werden sie mich beschuldigen, ein falsches Spiel zu treiben. Wenn ich lüge und sie es später herausfinden, wird es noch viel schlimmer sein.
»Ich bin allein zum Tempel gegangen«, sage ich. »Aber nicht, um die Hadschin aufzusuchen. Ich habe jemand anders aufgesucht. Circe.«
»Gemma …«, flüstert Ann.
Philons Augen weiten sich. »Die Betrügerin? Sie ist tot. Getötet von deiner Hand.«
»Nein«, sage ich. »Sie ist noch am Leben. Eingesperrt im Brunnen der Ewigkeit. Ich musste sie aufsuchen, um sie über die Winterwelt zu befragen und..«
Eine Welle der Bestürzung geht durch die Schar der Anwesenden. Sie rücken näher zusammen. Felicity starrt mich entsetzt an.
Neela springt auf. Ihre Stimme bebt vor Wut, ihr Mund ist zu einem irren Lächeln verzerrt. »Ich habe es dir gesagt, Philon! Ich habe dir gesagt, dass ihr nicht zu trauen ist! Dass sie uns genauso verraten wird wie die anderen. Aber du wolltest nicht hören. Und nun, nun ist Creostus tot. Er ist tot …« Sie birgt ihr Gesicht in den Händen.
»Also befindet sich diese eine vom Orden im Tempel. Bei den Hadschin«, sagt Philon.
»Nein. Ganz so ist es nicht. Und sie gehört nicht zum Orden. Die anderen wollten nichts mit ihr zu tun haben …«
»Du aber schon?«, knurrt einer der Zentauren.
Neela wendet sich an sie alle. In ihren Augen sind keine Tränen. »Würdet ihr jemandem glauben, der gelogen hat? Ihr seht, dass nicht einmal ihre eigenen Freundinnen etwas von ihrem Betrug wussten. Die Priesterinnen des Ordens und die Betrügerin haben sich mit den Hadschin verschworen, um die Magie unter sich zu teilen! Vielleicht wusste Creostus zu viel und wurde deshalb ermordet! Philon! Willst du nicht Gerechtigkeit fordern?«
Die Zentauren, das Waldvolk, die Medusa – alle wenden ihre Gesichter Philon zu, der seine Katzenaugen schließt und tief atmet. Als die Augen sich wieder öffnen, ist ein harter, entschlossener Ausdruck in ihnen, der mir Angst macht.
»Ich habe dir vertraut, Priesterin. Ich habe dich gegenüber meinem Volk in Schutz genommen. Und du hast uns als Gegenleistung nichts geboten. Jetzt werde ich mich auf die Seite meines Volkes stellen und wir werden tun, was nötig ist, um uns selbst zu schützen. Nyim nyatt e volaret. «
Die Zentauren heben ihren getöteten Bruder auf.
»Philon, bitte …«, setze ich an.
Das Zwitterwesen dreht
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