Kartiks Schicksal
Nan.
»Ach, na ja, dies und jenes. Nichts so Hübsches wie Ihre Halskette, fürchte ich.«
Ann löst die Perlen von ihrem Hals und streckt sie Mademoiselle LeFarge hin. »Bitte nehmen Sie sie.«
Mademoiselle LeFarge schiebt Anns Hand zurück. »Oh nein, Sie sind allzu liebenswürdig.«
»Nein«, sagt Ann errötend. »Das bin ich nicht. Sie müssen etwas Geliehenes haben, ja?«
»Das kann ich doch nicht annehmen«, beharrt Mademoiselle LeFarge.
Ich ergreife ihre Hand und stelle mir meine Lehrerin in ihrem Brautkleid vor, mit den Perlen an ihrem Hals. »Nehmen Sie sie«, murmele ich und mein Wunsch, beflügelt von der Magie, nistet sich in ihr ein.
Mademoiselle LeFarge blinzelt. »Sind Sie sicher?«
»Oh ja. Ich wäre überglücklich.« Ann lächelt.
Mademoiselle LeFarge schließt die Kette um ihren eigenen Hals. »Wie sieht sie aus?«
»Wunderschön«, antworten wir wie aus einem Mund.
Ann, Felicity und Mademoiselle LeFarge gehen zu einer lockeren Konversation über. Ich starre aus den Fenstern des Zuges auf die vorbeiziehenden Hügel. Ich möchte sie fragen, ob sie wissen, was meine Zukunft bereithält: Wird mein Vater wieder gesund und meine Familie wieder heil werden? Werde ich mein Debüt überleben? Kann ich mich im Magischen Reich bewähren und die Erwartungen erfüllen, besonders meine eigenen?
»Könnt ihr mir das sagen?«, flüstere ich dem Fenster zu. Mein warmer Atem haucht ein schneeflockiges Muster auf das Glas. Es schmilzt rasch hinweg, als hätte ich nie ein Wort gesagt. Der Zug verlangsamt seine Fahrt und die Hügel verschwinden hinter dicken Rauchwolken. Der Schaffner ruft die Station aus. Wir sind angekommen und unsere wahre Prüfung beginnt.
Mademoiselle LeFarge übergibt uns auf dem Bahnsteig der Obhut von Mrs Worthington. Mit ihrem blonden Haar und den kühlen grauen Augen gleicht Mrs Worthington ihrer Tochter, doch ihr Gesicht ist feiner. Ihr fehlt Felicity’s frecher, sinnlicher Zug um den Mund und dieser Mangel gibt ihr eine Aura von Zerbrechlichkeit. Alle Männer erliegen ihrer Schönheit. Wenn sie vorbeigeht, drehen sie die Köpfe und schauen ihr eine Sekunde zu lang nach. Ich werde diese Art von Schönheit, die den Weg zum Erfolg pflastert, nie besitzen.
Mrs Worthington begrüßt uns liebenswürdig. »Wie schön, dass Sie gekommen sind. Und wie reizend, Sie wiederzusehen, Nan, meine Liebe. Hatten Sie eine angenehme Fahrt?«
»Oh ja, sehr angenehm«, antwortet Ann. Sie beginnen höflich zu plaudern. Felicity und ich tauschen Blicke.
»Sie glaubt wirklich, dass Ann deine Cousine ist«, sage ich mit diebischer Freude. »Sie hat keinen Verdacht geschöpft!«
Felicity kichert spöttisch in sich hinein. »Nicht die Spur.«
Auf der Straße begegnen wir einer Bekannten von Mrs Worthington und sie macht halt, um zu tratschen. Wir stehen daneben, als seien wir Luft. Ein paar Schritte entfernt ringt eine andere Gruppe von Frauen um Aufmerksamkeit. Die Frauen tragen Plakate auf der Brust und auf dem Rücken, die einen Streik ankündigen. Brand in der Beardon-Hutfabrik. Sechs Menschenleben für Geld geopfert. Wir fordern Gerechtigkeit – gerechte Löhne, gerechte Behandlung. Sie wenden sich an die Vorübergehenden mit der Bitte, ihre Sache zu unterstützen. Aber die betuchten Leute auf ihrem Weg ins Theater und in die Klubs wenden sich mit angewiderter Miene ab.
Ein ungefähr fünfzehnjähriges Mädchen eilt herbei, eine Blechbüchse in den Händen. Ihre Handschuhe spotten jeder Beschreibung. Ausgefranste Löcher fressen sich wie Pocken in die Wolle. Ihre Knöchel schauen rot und aufgeraut hervor. »Bitte, Miss. Bitte um einen Penny für unsere Sache!«
»Um was für eine Sache handelt es sich?«, fragt Ann.
»Wir arbeiten in der Beardon-Hutfabrik, Miss, und einen elenderen Ort kann man sich nicht denken«, sagt das Mädchen. Sie hat dunkle Ringe um die Augen. »Ein Feuer hat unsere Freundinnen hinweggerafft, Miss. Ein schreckliches Feuer. Die Fabriktore waren geschlossen und wir waren drinnen eingesperrt. Sie hatten keine Chance, Miss.«
»Bessie Timmons und Mae Sutter«, flüstere ich.
Die Augen des Mädchens weiten sich. »Haben Sie sie gekannt, Miss?«
Ich schüttle rasch den Kopf. »Ich … ich muss ihre Namen in den Todesanzeigen gelesen haben.«
»Sie waren gute Mädchen, Miss. Wir streiken, damit so etwas nicht wieder passiert. Wir wollen gerechte Löhne und eine gerechte Behandlung. Sie sollen nicht umsonst gestorben sein.«
»Ich bin sicher, wo immer deine
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