Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Karwoche

Karwoche

Titel: Karwoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
Vom Netzwerk:
gibt.«
    »Und abgesehen davon, dass die Tochter erschossen wurde, ist die Familie so, wie Frau Millruth sie sich wünscht?«
    »Natürlich nicht. Das fängt damit an, dass sie seit dreißig Jahren ein Verhältnis mit ihrem Schwager hat.«
    Wallner ließ die Kaffeetasse sinken, aus der er gerade trinken wollte. »Wolfgang Millruth? Der Onkel, der verurteilt wurde?«
    »Exakt der.«
    »Und das stört Katharina Millruth nicht in ihrem Familienbild?«
    »Wir alle gehen Kompromisse ein. Ich habe keine Ahnung, wie Katharina Millruth das mit sich ausmacht. Vielleicht hat sie sich eine gute Begründung zurechtgelegt. Etwa, dass es letztlich zum Wohl der Familie ist, wenn ihr Sexualleben erfüllt ist. Oder sie verfährt so wie mit anderen Problemen in der Familie: Sie ignoriert es. Sie hat auch ignoriert, dass ihre Tochter Essstörungen hatte und Depressionen, dass ihre Unterarme voller Brandmale waren. Einfach ausgeblendet.«
    »Ich vermute, Katharina Millruht hat auch von dem Missbrauch nichts mitbekommen.«
    »In diesem Fall hat sie vermutlich tatsächlich nichts geahnt. Wenn sie etwas bemerkt hätte, wäre sie eingeschritten. Sie ist eine starke Frau, die für ihre Kinder kämpft. Soweit sich Leni erinnern konnte, haben die Übergriffe stattgefunden, wenn ihre Mutter nicht da war. Das kam öfter vor. Vor allem wenn sie auswärts bei Dreharbeiten war. Ihr Vater war häufiger zu Hause. Ganz einfach, weil er nicht so gut im Geschäft war.«
    »Wie war das Verhältnis der Mutter zu den Kindern, wenn sie so oft weg war?«
    »Durchaus liebevoll. Soweit es ihre Arbeit erlaubte, verbrachte sie die Zeit zu Hause. Es wurde viel in München gedreht. Da war sie nur tagsüber weg. Natürlich war immer jemand zu Hause, der sich um Leni gekümmert hat. Die Brüder, die ja wesentlich älter waren, der Vater, der Onkel, der auf dem gleichen Grundstück wohnt, und vor allem die Kindermädchen. Meistens Au-pairs. Die Familie hatte Au-pair-Mädchen, bis Leni dreizehn war.«
    »Wie war das Verhältnis der Mutter zu den einzelnen Kindern? Gibt es da Abstufungen?«
    »Leni war das Nesthäkchen und ist fast wie ein Einzelkind aufgewachsen. Als sie sechs war, waren ihre beiden Brüder schon erwachsen. Da gibt es keine Rivalität wie unter normalen Geschwistern. Jemand, der so viel älter ist, ist keine Konkurrenz. Erst in den letzten Jahren hatte sich das geändert. Als Leni selbst erwachsen wurde, stand sie plötzlich mit ihren Brüdern auf einer Stufe. Adrian, der Ältere, ist wohl der Favorit der Mutter. Er ist wie sie Schauspieler und versucht, seiner Mutter nachzueifern. Außerdem ist er nach Lenis Aussage sehr charmant, wenn er will, und tut sich leicht mit Frauen. Das imponiert seiner Mutter. Henry wäre der Wunschsohn jeder anderen Familie. Er ist intelligent, fleißig, hat Medizin studiert und macht gerade seinen Facharzt in Neurologie. Aber das ist kein kreativer Beruf und zählt in der Familie Millruth nicht. Zudem hatte Henry noch nie eine Freundin. Das alles wertet ihn in den Augen seiner Mutter ab.«
    »Zu Weihnachten hat Henry eine Freundin mitgebracht.«
    »Tatsächlich?«
    »Sie war Krankenschwester in der Klinik, in der er arbeitet.«
    »Das arme Mädchen. Ich vermute, das waren unvergessliche Weihnachten für sie.«
    »Anzunehmen. Was ist mit Adrian?«
    »Wie gesagt: ein Frauentyp. Aber nach dem, was Leni erzählt hat, kein begnadeter Schauspieler. Und wohl auch sonst nicht sonderlich erfolgreich. Sie hat vermutet, dass ihre Mutter ihm immer wieder Geld geliehen oder geschenkt hat. Zwischen den beiden bestand eine ganz besondere Bindung. Was sich auch darin zeigte, dass Adrian die gleichen Familienideale kultivierte wie seine Mutter. Die Familie ging ihm über alles. Zu einer längeren Beziehung mit einer Frau hat es aber trotzdem nicht gereicht. Auch Adrian hat übrigens komplett ignoriert, dass es Leni schlechtging.«
    »Hatte Leni ein besseres Verhältnis zu Henry?«
    »Ja. Henry wusste durchaus, was mit ihr los war. Er ist ja Neurologe und daher psychologisch vorgebildet. Aber er hat sich auch mehr für seine Schwester interessiert als Adrian. Leni hat regelmäßig mit Henry telefoniert.«
    »Wusste Henry von der Therapie?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich glaube aber, sie hat es nicht einmal ihm gesagt.«
    »Stand Henry dem Vater näher?«
    »Ja. Allerdings nicht etwa, weil sich die beiden von der Mentalität her ähneln. Auch der Vater hegt eine profunde Geringschätzung für normale Brotberufe. Es war mehr eine

Weitere Kostenlose Bücher