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Karwoche

Karwoche

Titel: Karwoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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Notgemeinschaft. Weil Katharina und Adrian einen festen Block bildeten, hat sich der Vater nolens volens Henry zugewandt. Und das scheint auch keine Beziehung auf Augenhöhe zu sein. Für Henry ist die Beziehung zu seinem Vater extrem wichtig. Weil er weiß, dass er bei seiner Mutter immer nur die Nummer zwei sein wird. Deswegen verteidigt er seinen Vater gegen alle Angriffe. Und da gab es einige. Dieter Millruth ist kein einfacher Mensch.«
    »Den würde ich gern zuletzt behandeln. Was ist Wolfgang Millruths Stellung in der Familie?«
    »Wolfgang Millruth ist eine tragische Figur. Er ist vollkommen abhängig von seinem Bruder und seiner Schwägerin.«
    »Da macht er keinen Hehl draus. Ich hatte aber den Eindruck, dass er sich mit seinen Lebensumständen arrangiert hat. Er macht einen relativ zufriedenen Eindruck. Wenn wir mal von der Sache mit seiner Nichte absehen. Da wissen wir noch nicht, was für eine Rolle er wirklich gespielt hat. Aber wenn man davon nichts wüsste, würde man sagen, der Mann ist ein glücklicher Handwerker.«
    »Da kennen Sie ihn besser als ich. Trotzdem ist es natürlich schwierig, sich am Ende seines Lebens einzugestehen, dass man sich nicht selbst ernähren kann. In der Familie spielt er ein bisschen das ausgleichende Element. Selbst das Verhältnis mit Katharina passt da rein.«
    »Wie das?«
    »Wenn das nicht wäre – vielleicht hätte sie ihren Mann längst verlassen.«
    »Und Dieter Millruth – kommen wir mal zu ihm –, der weiß nicht, dass ihn seine Frau und sein Schwager seit dreißig Jahren hintergehen?«
    »Leni vermutete das.«
    »Ich hatte den Eindruck, dass Dieter Millruth ein großes Mundwerk hat, aber nicht der Hellste ist.«
    »Dieter Millruth ist der Typ, bei dem man nie einschätzen kann, was unter der Narrenkappe verborgen ist. Vielleicht weiß er mehr, als sein Umfeld ihm zutraut. Das ist für manche Menschen eine Art, mit Demütigungen umzugehen. Mehr wissen, als die anderen ahnen. Das schafft Überlegenheit.«
    »Glauben Sie, so jemand könnte einen Mord begehen?«
    »Sie meinen, die eigene Tochter umbringen, um sich vor Strafe zu schützen?«
    »Ich frage mich halt: Was ist passiert? Irgendjemand hat in der Weihnachtsnacht Leni Millruth erschossen. Und wir gehen davon aus, dass es nicht Wolfgang Millruth war. Außerdem gibt es Hinweise, dass es kein Unfall, sondern Vorsatz war. Also Mord. Und es ist möglich, dass dieser Mord in Zusammenhang mit dem Missbrauch vor zwölf Jahren steht. Wenn es jemand aus der Familie war – würde die Familie denjenigen schützen?«
    »Sehr schwierig vom grünen Tisch aus zu beurteilen. Mag sein.«
    »Alle stehen unter Schock. Und jedem ist klar, dass die Polizei unangenehme Dinge aufdecken wird. Die ganze Familie wird davon betroffen sein. Die Medien werden die Geschichte genüsslich ausschlachten. Also präsentiert man der Polizei einen Täter, bevor sie zu viel Dreck aufwirbeln kann.«
    »Wieso ausgerechnet Wolfgang Millruth?«
    »Sie sagten es ja: Der Mann ist materiell abhängig und damit in einer schwachen Position. Das muss nicht heißen, dass er erpresst wurde. Vielleicht spielte auch eine gewisse Dankbarkeit mit, die Chance, seinen Wohltätern etwas zurückzugeben. Oder er fühlte sich verpflichtet, es zu tun. Das können Sie als Psychologin vermutlich besser beurteilen. Ein paar Jahre Gefängnis wären für ihn vermutlich akzeptabel gewesen. Hätten vielleicht sogar seinen Stolz wiederhergestellt. Das Gefühl, nichts mehr schuldig zu sein.«
    »Ist er im Gefängnis?«
    »Nein. Er hat eine Bewährungsstrafe bekommen. Aber das war ja nicht sicher. Er hätte genauso gut fünf Jahre kriegen können.«
    »In Ordnung. Ich kann mir vorstellen, dass Wolfgang Millruth die Tat auf sich nimmt. Was ich mir nicht vorstellen kann: Wie soll die Familie damit leben, dass ein Mörder unter ihnen ist?«
    »Ich bin kein Psychologe. Aus meiner Sicht kann ich Ihnen nur sagen: Das war vermutlich eine Augenblicksentscheidung. In dem Moment sieht man nur zwei Dinge. Erstens: Die Familie ist in Gefahr. Und zweitens: Es ist nun mal passiert und kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Wir wissen nicht, was dem Mord vorausgegangen ist. Vielleicht ist etwas vorgefallen, das sogar Verständnis unter den anderen Familienmitgliedern generiert hat. Es kann übrigens sein, dass sich die Einschätzung der Dinge im Lauf der Zeit ändert. Dass der Druck doch unerträglich wird und jemand gegen die Omertà verstößt. Wer wäre der wahrscheinlichste

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