Karwoche
passt. Am besten Missbrauch. Da kannst du nie was falsch machen.«
»Therapeuten reden dir nichts ein. Ich hab selbst eine Therapie gemacht.«
»Ach – interessant. Weiß ich gar nichts davon.« Er blickte zu seiner Frau. »Du hast es natürlich gewusst.«
»Adrian hatte keine Probleme. Es ging darum, mehr über sich selbst zu erfahren. Das machen Schauspieler eben.«
»Danke für die Aufklärung. Ich bin selber einer.« Er wandte sich wieder an Adrian. »Was willst du mir eigentlich unterstellen? Dass ich Leni missbraucht habe? Das wagst du mir ins Gesicht zu sagen?«
»Ich unterstelle überhaupt nichts. Das Einzige, was ich gesagt habe, ist, dass Therapeuten ihren Patienten nichts einreden.«
»Das habe ich verstanden. Ich bin noch nicht ganz verblödet. Nur impliziert es, dass Lenis wundersam wieder aufgetauchte Erinnerungen richtig sind. Was wiederum bedeutet, dass ich meine achtjährige Tochter gevögelt habe. Das wäre die Schlussfolgerung. Stimmst du mir zu?«
»Ich ziehe keine Schlussfolgerungen. Das kann jeder für sich selbst entscheiden.«
»Du feiger kleiner Wichser! Steh halt zu dem, was du sagst.«
Adrian stand plötzlich auf und ging einen Schritt auf seinen Vater zu. »Na gut. Wenn du es hören willst: Ich weiß nicht, wer recht hat. Es steht Aussage gegen Aussage.«
»Also traust du mir das zu, ja?«
Adrian zögerte. »Nein. Das traue ich dir nicht zu.«
»Aber?«
»Versteh mich nicht falsch: Wann immer so was rauskommt, sind die Leute bass erstaunt. Nein, ich trau’s dir nicht zu. Aber ich bin verunsichert. Und jeder hier, der was anderes von sich behauptet, lügt.«
Dieter prüfte die Blicke der anderen. Doch die meisten wichen ihm aus. Katharina nicht. »Ich nehme an, Adrian und du seid euch auch in dieser Frage einig«, sagte Dieter.
Katharina stand auf und ging zu ihrem Mann, setzte sich auf die Lehne seines Sessels und legte den Arm um seine Schulter. »Ich glaube nicht eine Sekunde daran, dass du unserer Tochter so etwas antun könntest. Ich weiß nicht, warum sie diese Dinge erzählt. Es wird irgendeinen Grund geben. Aber er hat nichts mit dir zu tun. Da bin ich mir sicher.« Als sie seine Hand ergriff, zögerte sie den Bruchteil einer Sekunde.
»Es tut gut, dass du das sagst.« Dieter lächelte melancholisch. »Auch wenn ich diesen Blick kenne. Es ist der Blick, mit dem du mir immer gesagt hast: Ich könnte dich nie betrügen.«
Sie ließ seine Hand los. »Du bist geschmacklos.«
»Henry – du sagst nichts?«, sagte Dieter.
»Ich habe nie etwas mitbekommen. Nie. Und ich bin mir, egal, was andere hier denken, hundertprozentig sicher, dass du Leni im Leben nicht angerührt hast.« Henrys Blick war ehrlich.
»Danke.« Dieters Zynismus wich einem Moment sentimentaler Dankbarkeit.
»Na gut«, sagte Adrian. »Nachdem jetzt für alle Zeiten geklärt ist, dass Henry seinem Vater in Nibelungentreue zur Seite steht, sollten wir über praktische Dinge nachdenken.«
»Was meinst du damit?«
»Was ich meine? Ich hab keine Lust, dass Leni morgen loszieht und überall rumerzählt, dass sie von ihrem Vater vergewaltigt wurde. Ich weiß ja nicht, wie ihr das seht.«
»Sie wird sich wieder beruhigen«, sagte Wolfgang, der gerade eine neue Flasche Bolgheri entkorkte. »Ich werde morgen noch mal mit ihr reden. Wir sollten sie aber ernst nehmen. Egal, was sie für Sachen erzählt – sie ist in ernsthaften Schwierigkeiten. Sagt euch Borderline-Syndrom etwas?«
»Hat sie dir das gerade erzählt?«, fragte Henry.
»Ja.«
»Borderline ist kein Spaß. Das endet oft im Selbstmord. Wir müssen da irgendwas tun.«
»Dann macht mal«, sagte Dieter. »Ich nehme nicht an, dass sie auf meine Hilfe Wert legt.«
»Sie kann von mir jede Hilfe bekommen, die sie braucht«, sagte Adrian. »Aber ich will, dass sie Ruhe gibt und unsere Familie nicht ins Verderben stürzt. Tut mir leid, aber das hat für mich Vorrang. Abgesehen davon kann Papa ins Gefängnis kommen, wenn sie Ernst macht. Das kann auch nicht in deinem Sinn sein, oder, Henry?«
Henry schwieg und schien nachzudenken. Katharina hatte sich auf die Couch gesetzt, die Hände vors Gesicht geschlagen und weinte wieder still und mit leicht zuckenden Bewegungen. Adrian setzte sich zu ihr und legte seinen Arm um sie. Dieter zog mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen wehen Fuß näher an den Stuhl heran.
»Sie wird nichts gegen dich unternehmen.« Henry sah Dieter besorgt an. »Sie hört auf mich. Ich sorg dafür, dass sie keinen Quatsch
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