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Karwoche

Karwoche

Titel: Karwoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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hatte, obwohl einem der Verstand sagt, dass die Sommer damals nicht weniger verregnet gewesen waren als heute.
    Wallner dachte an seine tote Tochter. Sie war erst ein paar Wochen alt gewesen, als sie starb. Da hatte man keine Schattenseiten. Andere Menschen hatte er im Augenblick des Verlustes verklärt. Seine Ex-Frau etwa, als sie sich eingestehen mussten, dass ihre Ehe den Tod des Kindes nicht überlebt hatte. Ließ man ein bisschen Zeit verstreichen, wurde der Blick klarer, und man konnte auch die andere Seite des Menschen erkennen. Trotzdem belastete Wallner die Frage, ob sie Christian als ewige Last in ihrer Beziehung mitschleppen würden.
    Christian bewegte den Kopf, blinzelte, unter den Lidern rollten die Augen, schließlich schlug er sie auf. Ein Moment der Orientierung, dann erkannte er, wer neben seinem Bett stand. Er nahm die Plastikmaske ab.
    »Ich bin’s, Clemens«, sagte Wallner vorsichtshalber.
    »Ich bin ja nicht blind. Hey, was machst du denn hier?«
    »Ich hab gehört, du bist im Krankenhaus.«
    »Nett von dir.« Christian lächelte, die Falten um seine Augen wurden tief und fröhlich, aber seine Stimme war schwach.
    »Eigentlich besuche ich Vera. Und nachdem ich schon mal da war, hab ich gedacht, ich schau mal, ob du wach wirst. Vera müsste gleich wieder da sein.«
    Christian nickte müde. »Habt euch wohl nicht viel gesehen in den letzten drei Tagen. Tut mir echt leid.«
    Wallner stutzte. »Du bist seit …«
    »Donnerstag. Seit Donnerstag bin ich hier. Bin bei uns im Aufzug zusammengeklappt.«
    »Ist das wegen dem Krebs?«
    »Ja. Das ist die letzte Runde.« Christian versuchte, entspannt zu bleiben, aber seine Stimme war belegt, und er kämpfte mit den Tränen.
    »Das weiß man nie«, sagte Wallner.
    Christian nickte. »Nein. Aber spüren kann man’s.« Wallner starrte die Bettdecke an, Christian die Zimmerdecke. Er setzte die Sauerstoffmaske wieder auf und schloss die Augen.
    »Alles okay?«, fragte Wallner.
    »Ja. Nur müde.« Christians Herzfrequenz hatte sich auf über hundert erhöht.
    »Ich schau mal, ob ich Vera finde, ja?«
    »Danke«, sagte Christian und fasste Wallner am Ärmel. Wallner sah ihn an. Christian zog die Atemmaske vom Mund. »Wenn ich wieder wegkippen sollte: Sag ihr, sie muss nicht rund um die Uhr hier sein. Das macht sie nur fertig, und ich schlafe sowieso die meiste Zeit.«
    Wallner nickte. Christian machte die Augen zu und ließ den Kopf nach hinten sinken. Wallner konnte nicht genau erkennen, ob er eingeschlafen war.
     
    Er traf Vera auf dem Gang. Ihr Gesicht wirkte wieder frisch. Sie hatte sich gewaschen und geschminkt und sah ihn jetzt fragend und leicht besorgt an.
    »Ist was passiert?«
    »Er ist aufgewacht. Ich wollte dich holen.«
    »Danke.« Vera wollte eilig zum Krankenzimmer gehen.
    »Vera …«
    Sie drehte sich noch einmal zu Wallner um.
    »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du schon die ganze Zeit hier bist?«
    Vera stand mit offenem Mund und sprachlos wie ein ertapptes Kind vor ihm und versuchte, etwas zu formulieren, das als Erklärung hätte durchgehen können. Von irgendwoher kam ein schrilles Läuten. Erst beim zweiten Mal realisierte Wallner, dass es sein Handy war.
    »Leo, was gibt’s?«, fragte er. Unmittelbar darauf zeichnete sich auf seiner Miene Verwunderung, schließlich Sorge ab. »Das gibt’s doch nicht … ich bin in München. Aber ich fahr sofort los.« Er steckte das Handy in seine Jacke. Vera sah ihm traurig in die Augen. »Lass uns morgen darüber reden. Ich muss sofort nach Miesbach.«
    »Wegen dem Mord?«
    Wallner schüttelte den Kopf. »Manfred ist verhaftet worden.«

Kapitel 49
    K reuthner stand auf dem Parkplatz und rauchte eine Zigarette, als Wallner vor dem Polizeigebäude eintraf. Auf dem Weg teilte er Wallner mit, was nach bisherigem Erkenntnisstand vorgefallen war.
    »Im Gemeindesaal ham s’ a Essen gehabt von der Tafel. Praktisch a Osteressen.«
    »Aber Karsamstag ist doch noch Fastenzeit?«
    »So genau geht’s da net. Ich glaub fürn Ostersonntag ham s’ net genug Helfer gehabt. Da wollen die Leut daheimbleiben.«
    »Aha. Ja und dann?«
    »Dann sind mir gerufen worden. Es gäb a Schlägerei, hat’s geheißen. Also mir hin und tatsächlich: Die Sennleitnerin mit am ausgekugelten Arm und Verbrennungen am Kopf und vor der Hütt’n.«
    »Wie vor der Hütt’n?«
    »Na ja, wie sagt man: im Dekolleté.«
    »Aha?«
    »Und dein Opa mit zwei Schnittwunden am Hirn. Is aber nix Ernstes.«
    »Ja um Himmels willen – was

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