Kasey Michaels
gedacht, dass zu einem Wutanfall einiges
an Geschrei und Aufstampfen, vielleicht auch Zerschlagen von Geschirr gehörte.
Aber für den Anfang war das schon ganz gut gewesen. Zumindest hatte sie nun
seine volle Aufmerksamkeit.
„Ja,
bestimmt. Und Nicole hat recht. Ich fühle mich wirklich besser. Tanner, da Sie
sagen, dass Sie mein Freund sind, tun Sie mir den Gefallen und behandeln Sie
mich nicht mehr, als müssten Sie mich in Watte packen. Einverstanden? Nein,
warten Sie, ich bin noch nicht fertig! Und ich meinerseits werde Ihnen den
Gefallen tun und nicht mehr so ... so ... nun, wie immer ich mich auch gebärdet
habe, dass Sie meinten, mich wie ein Porzellanpüppchen behandeln zu
müssen.“
Tanner
wurde von dem Verlangen, sie in seine Arme zu ziehen, beinahe überwältigt. Aber
er wusste auch, dass sie, auch wenn sie nicht mehr in Watte gepackt werden
wollte, bestimmt nicht das offensive Ausleben seiner Gefühle erwartete.
„Wenn wir
alle so taktvoll und behutsam zu Ihnen waren, tut es mir leid, Lydia. Und zum
Beweis frage ich Sie – und fordere Sie nicht auf oder versuche, Sie zu
überreden – hätten Sie Lust, meine Cousine, übrigens eine sehr entfernte
Cousine, und mich zu Lady Chalfonts Ball zu begleiten? Oder glauben Sie, ich
hätte eine kalte Dusche verdient?“
„Das würde
ich nie sagen!“ Dann nickte sie nachdrücklich. „Ja, danke, ich glaube, ich
würde sehr gern mit Ihnen und Miss Harburton auf den Ball gehen. Und ich werde
mich bestimmt freuen, Ihre Cousine kennenzulernen.“ Erneut lächelte sie
ihn an, und wieder warf es ihn beinahe um. „Finden Sie, es war ein guter Wutanfall?“
„Annehmbar,
ja. Um perfekt zu werden, müssen Sie vielleicht noch ein wenig üben, aber für
den Anfang nicht schlecht.“
„Ich gelte
als gute Schülerin. Ich werde mich anstrengen. Oh, da sucht jemand Ihre
Aufmerksamkeit.“ Sie wies dezent mit dem Kopf in die Richtung – die Geste
entzückte ihn aufs Höchste.
„Tanner
Blake, es ist eine Ewigkeit her! Wie schön, dich wiederzusehen!“, rief
der Reiter, der sich nun winkend näherte. „Vor ein paar Jahren haben wir in
Paris noch sehr kumpelhaft ein paar Flaschen geköpft, aber nun, da du ein Duke
bist, sollte ich mich vermutlich intensiv um die Bekanntschaft mit dem hoch
geachteten Herrn mühen.“
Mit raschem
Blick musterte Tanner den rassigen grauen Hengst und den äußerst elegant
gekleideten Gentleman im Sattel. „Justin! Kein Mensch hat mir erzählt, dass du
in London bist! Hat man dich in Wien endlich doch hinausgeworfen?“
Baron
Justin Wilde, der während der Kriegsjahre im Kampf gegen Napoleon viele Rollen
verkörpert hatte – die meisten davon nur bei den höchsten Mitarbeitern des
Kriegsministeriums bekannt – lenkte sein Pferd neben Tanners Wagen. Die beiden
Männer schüttelten sich die Hände, was kein kleines Kunststück war, da der
Wagen noch rollte.
Wie schon
in den alten Zeiten war Tanners Freund auch heute nach der allerneusten Mode
gekleidet; der Schnitt seines Jacketts betonte
seine breiten Schultern, die Reithose aus feinstem Leder schmiegte sich eng an
seine kraftvollen Schenkel, und seine eleganten schwarzen Hessenstiefel mit
den dandyhaften Troddeln glänzten, dass man sich darin spiegeln konnte. Was ihn
jedoch am meisten von anderen unterschied, waren die Spitzenrüschen an Kragen
und Manschetten, aber auch sein Gesicht, das zu schön war, um seine muskulöse
Erscheinung bedrohlich wirken zu lassen.
In der Tat
mochten manche, die den Baron zum ersten Mal trafen, ihn für einen
glattzüngigen, ein wenig hohlköpfigen Gecken halten. Sie würden in seine
heiteren grünen Augen unter den elegant geschwungenen dunklen Brauen schauen
und, von seinem entwaffnenden Lächeln
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