Kasey Michaels
nicht, um Miss Harburtons Vater für seine anmaßenden Wünsche eine
Lehre zu erteilen?“
Einen
Moment war Tanner unklar, was sein Freund meinte, dann lächelte er. „Also weißt
du, Rafe, ich bin nicht ganz so selbstlos, wie du glaubst. Allerdings wäre es
ein willkommener Effekt, was mir erst jetzt bewusst wird. Danke.“
„Gern
geschehen. Ah, welch verschlungene Netze wir doch knüpfen und so weiter.“
„Ich knüpfe
nichts, ich meine es ernst. Mir war nicht einmal der Gedanke gekommen, Lydia
dafür zu benutzen ...“ Ein Blick zur Tür ließ ihn abbrechen, denn Lydia
näherte sich.
Nicole mit
ihrer überströmenden Energie pflegte förmlich in ein Zimmer zu platzen; mit ihrem
strahlendem Lächeln und ihren funkelnden Augen wirkte sie stets, als ob für sie
jeder Augenblick Freude und Abenteuer war. Lydia hingegen schritt mit solcher
Anmut und in so vollkommener Haltung, wie es sich jede Vorsteherin eines
Mädchenpensionats vermutlich erträumte. Nie bewegte sie sich übertrieben, um
nicht die Aufmerksam auf sich zu ziehen. Beide Zwillingsschwestern waren
Schönheiten, doch wenn sie zusammen auftraten, schien es trotzdem nur
natürlich, dass aller Augen sich zuerst auf Nicole richteten.
Männer
ließen sich so leicht durch das Offensichtliche blenden; sie stürzten sich
gleich auf den strahlenden Diamanten und übersahen den sanften Glanz der
makellosen Perle.
Was wohl
würden die Herren nun sehen, wenn Lydia ohne ihre Schwester erschien? Immer
noch das Gleiche wie vorher? fragte sich Tanner.
War er, wie
Rafe meinte, nicht ganz gescheit, dass er anderen Männern erlauben wollte, sich
ihr zu nähern, da er sie doch für sich selbst wollte?
Wahrscheinlich.
„Lydia“,
sagte er und verneigte sich, „ich dachte, nach den letzten regnerischen Tagen
könnte die frische Luft Sie locken. Es wäre gerade der richtige Zeitpunkt für
die Promenade.“
Sie
knickste anmutig. „Guten Tag, Tanner. Wie nett, dass Sie an mich denken. Sie
meinen, im Hyde Park? Bisher war ich immer nur am Vormittag da, aber ich hörte,
nachmittags soll dort ein grässliches Gedränge herrschen. Möchten Sie es wirklich
wagen?“
„Oh, er
würde alles wagen, nicht wahr, Tanner? Er ist sehr waghalsig“, sagte Rafe
und küsste seine Schwester auf die Wange. „Wenn ihr mich jetzt entschuldigen
wollt – ich muss mich meiner Gattin zu ihren reizenden Füßen werfen. Tanner
wirst du heute Abend Lady Chalfonts Ball besuchen?“
Dankbar,
dass Rafe ihm so leicht den Weg bereitete, wandte Tanner sich ihm zu. „Ja, ich
habe eine Einladung, und soweit ich höre, soll es unterhaltsam werden.“
„Wie schön,
Lydia, hörst du? Nun hast du eine Begleitung, außer natürlich, du bestehst
darauf, mich an deiner Seite zu sehen. Eigentlich müsste ich nämlich an meiner
Rede für das Parlament arbeiten.“
Verwirrung
malte sich auf Lydias Gesicht; sie schaute zwischen den beiden Männern hin und
her. „Ich möchte dich nicht von einer so wichtigen Aufgabe abhalten, nur damit
du mich begleitest. Aber, Tanner, auch Sie müssen sich nicht meinetwegen
opfern, ich habe sowieso nicht besonders viel Lust, den Ball zu besuchen.“
Tanner bot
ihr den Arm und führte sie in die Halle, wobei er Rafe über die Schulter ein
stummes „Danke“, zuwarf. „Was? Wollen Sie etwa nicht dieses wundervolle
Eis von Gunther kosten, das Lady Chalfont, soweit ich hörte, anbieten wird?
Ich jedenfalls freue mich schon die ganze Zeit darauf. Und ich hörte auch,
dass für die Tafel eine Skulptur aus Eis bestellt wurde, ein Schwanenpaar, zehn
Fuß hoch. Und bei der Wärme, die dort herrschen wird! Wir sollten wirklich
dabei sein, wenn diese langen, zarten Schwanenhälse dahinschmelzen und das
ganze Ding zusammenfällt! Hugh
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