Kasey Michaels
eingenommen, denken, sie sähen ein nicht
allzu helles Prachtstück des ton vor sich. Ein gewaltiger Irrtum.
„Bin schon
vor beinahe einem Monat aus Wien entkommen und habe mich gemächlich gen Heimat
bewegt. Diplomatie kann ganz schön langweilen, selbst wenn wir Reiche teilen
wie der Bäcker den Kuchen.“ Er erhob sich halb in den Steigbügeln und
lüftete seinen Hut vor Lydia. „Vergeben Sie ihm, Madam, der Junge hat nie
Manieren gelernt. Ich bin Justin Wilde, und Sie sind das entzückendste
Geschöpf, das mir je vor Augen gekommen ist. Bitte sagen Sie, dass dieser
Schuft hier nur Ihr Begleiter ist und keinen Anspruch auf Ihre Zuneigung hat,
denn mein Herzenswohl hängt nun ganz von Ihrer Antwort ab.“
Als Tanner
lachte, lächelte auch Lydia, obwohl ein wenig scheu.
„Lady Lydia
Daughtry, vergeben Sie mir bitte, dass ich nicht umhin kann, Ihnen Baron Justin
Wilde vorzustellen. Soldat, Staatsmann, Weiser und Narr. Und all diese Rollen
füllt er besser aus als kaum ein anderer. Ich empfehle, dass Sie ihm unter
allen Umständen ausweichen.“
„Oh, wie
gemein, Tanner. Gemein! Du bist ein viel größerer Narr als ich, und das kann
ruhig jeder hören. Lady Lydia, ich beschwöre Sie erneut, sagen Sie mir, dass
Ihr Herz noch nicht vergeben ist, und schon gar nicht an einen namenlosen Schuft,
der irgendwie dem Gentleman an Ihrer Seite ähnelt, oder Sie werden mir das Herz
brechen.“
Neugierig
erwartete Tanner ihre Antwort; er hatte keine Vorstellung, wie sie ausfallen
würde. Höflich, ein wenig schüchtern und ganz sicher sehr korrekt, so hätte er
gestern noch gedacht. Aber heute? Er sah Lydia an, und sein Herz machte einen
kleinen Satz, als er ihr mutwilliges Lächeln sah, mit dem sie zum ersten Mal
ihrer mutwilligen Zwillingsschwester ähnelte.
„Ich
bezweifle ernstlich, dass mein Worte solche Macht haben“, sagte sie nach
kurzem Zögern, „aber wenn es Ihr gefährdetes Herz tröstet, will ich sagen,
dass Seine Gnaden und ich Freunde sind, die heute einfach die frische Luft
genießen – und jetzt gerade eine ein wenig närrische Gesellschaft.“
Wilde nahm
seinen Hut und drückte ihn in gespielter Bewunderung an seine Brust. „Mein
Gott, Tanner, sie spricht in ganzen Sätzen. Und ohne Affektiertheit, ohne zu
stammeln. Und ohne Ohnmachtsanwandlungen angesichts meines plumpen Versuchs zu
schmeicheln.“ Und an Lydia gewandt: „Lady Lydia, bitte seien Sie so gut,
sich vorzustellen, dass ich Ihnen gerade zu Füßen liege. Ich hatte keine
Ahnung, dass Schönheit wie die Ihre existiert, ganz besonders in Gemeinschaft
mit einem funktionierenden Hirn.“
„Justin,
wenn du eine so schlechte Meinung von den Londoner Damen hast, solltest du
zurück nach Wien gehen“, spottete Tanner.
„Unsinn!
Für mich sind alle Damen entzückende Geschöpfe. Natürlich nur, solange
man nicht das Pech hat, sich länger als einige Minuten mit ihnen unterhalten zu
müssen. Was ich nur selten tue. Aber Lady Lydia scheint die wundersame Ausnahme
von der Regel zu sein.“
„Wenn Sie
mich auch als Ausnahme erachten“, entgegnete Lydia dem Baron, „so bleibt
mir doch eine Frage. Sind Sie ein Frauenfeind, Sir, oder ein Menschenfeind,
dessen Abneigung sich auf alle Geschöpfe außer Sie selbst erstreckt?
Sind Sie Alceste?“
„Alceste
sagten Sie? Jener erbärmliche Zyniker? So sind Sie vertraut mit Moliére? Tanner
hast du das gehört? Warte warte, das ist
unmöglich! Lady Lydia, haben Sie Nachsicht mit mir und ergänzen Sie: „Der
beherrscht die Kunst der Sprache, der ...“
Laut
auflachend rief Tanner: „Herrgott, Justin, du willst sie examinieren?“
„Nein,
nein, es ist schon gut! Soll ich?“ Lydia schaute Tanner an, der stumm
nickte. „Der beherrscht die Kunst der Sprache, dem mit
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