Kassandra Verschwörung
alten Fotos im Hexen-Dossier – ein gut aussehender Mann, dem man nicht anmerkte, dass er in die Jahre gekommen war.
»Sie sind hübsch«, stellte er auf Deutsch an Dominique gewandt fest.
»Danke«, erwiderte sie knapp auf Englisch.
»Sind Sie Französin?«, fragte er sie auf Französisch.
»Ja«, erwiderte sie, immer noch auf Englisch.
»Aber Sie ziehen es vor, die Unterhaltung auf Englisch zu führen«, stellte er fest und nickte. Er wandte sich an Barclay. »Deshalb nehme ich an, mein Freund, dass Sie entweder Amerikaner oder Brite sind.«
»Ich bin Engländer«, erwiderte Barclay.
»Und ich«, sagte Bandorff, »bin Deutscher.« Sein Blick wanderte wieder zum Fenster. »Und das«, er wedelte mit einer Hand in dessen Richtung, »ist genauso gut wie jede Theorie über Terrorismus, die mir bislang untergekommen ist.« Seine Hand ballte sich zu einer Faust, der Zeigefinger ragte heraus wie ein Pistolenlauf. Er tat so, als drückte er ab.
»Vermissen Sie Waffen, Herr Bandorff?«
Bandorff antwortete nicht. Barclay sah Dominique an. Er mühte sich damit ab, eine weitere Frage zu formulieren, aber sein Verstand spielte nicht mit; das Einzige, woran er denken konnte, war die Bombe, die sie hatte hochgehen lassen, als sie Herrn Grunners Büro verlassen hatten.
»Michael«, hatte sie geflüstert, »wissen Sie noch, dass ich Ihnen gestern Nacht etwas erzählen wollte? Ich verrate es Ihnen jetzt: Nichts von dem, was wir hier tun, ist von meinen Vorgesetzten abgesegnet.«
Er wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. »Wie bitte?«
»Ich habe keine Genehmigung, hier zu sein. Ich habe einen Kollegen angerufen und ihn gebeten, mir ein paar Informationen über das Gefängnis und die Telefonnummer zu besorgen. Ich habe meinen Vorgesetzten nicht erzählt, dass ich die Absicht hatte hierherzukommen.«
Sein Gang wurde langsamer. Hätte er versucht, schneller zu gehen, wären seine Beine unter ihm weggesackt. »Warum nicht?«
»Weil sie mich nicht hätten fahren lassen. Das hier ist eine große Nummer. Und ich bin keine große Nummer, schon vergessen? Ich habe es Ihnen doch bereits in Calais gesagt: Sie sind nicht ranghoch genug, um jemanden zu verdienen, der höhergestellt ist. Meine Vorgesetzten haben von nichts eine Ahnung... noch nicht. Sie denken, ich hätte mich an Ihre Fersen geheftet, während Sie Ihre Ermittlungen anstellen. Mehr habe ich ihnen nicht erzählt.«
»O mein Gott!«
»Tut mir leid.«
»Warum erzählen Sie es mir jetzt?«
Sie hatte mit den Schultern gezuckt. »Vielleicht weil Sie jetzt nicht mehr zurückkönnen, um mich mit dem Ganzen alleinzulassen.«
»Sie wirken geistesabwesend.«
Barclay riss sich aus seinen Gedanken. Bandorff redete mit ihm. Er wurde sich bewusst, dass er den Bildschirm angestarrt hatte. »Ich heiße Michael Barclay, Herr Bandorff. Das ist Mademoiselle Herault. Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
»Kann ich dabei irgendwelche Preise gewinnen?«
Barclay lächelte. Er zog ein Foto aus seiner Tasche, stand auf und ging zu Bandorff. Die Aufseher wirkten gelangweilt. Barclay blieb etwa dreißig Zentimeter vor Bandorffs Bett stehen und hielt ihm das Foto hin.
»Diese Frau ist auch hübsch, Herr Bandorff.«
Bandorff blinzelte kurzsichtig das Foto an. »Kann ich nicht sagen... Meine Augen sind nicht mehr das, was sie mal waren.«
Einer der Aufseher sagte etwas auf Deutsch.
»Er sagt, dass Herr Bandorff gut sehen kann«, übersetzte Dominique.
Barclay ließ nicht locker. Die Hand, die das Foto hielt, war bemerkenswert ruhig. Was hatte er schließlich zu verlieren? Er befand sich hier, weil Dominique ihn reingelegt hatte. Sie waren drauflosgestürmt und hatten sämtliche Regeln missachtet. Rugby war auf diese Weise erfunden worden, aber etliche Berufskarrieren hatten so auch jäh geendet. Was hatte er zu verlieren?
»Das Foto wurde vor einiger Zeit aufgenommen. Es zeigt Sie zusammen mit einer jungen Frau. Da wir ihren richtigen Namen nicht kennen, heißt sie bei uns im Geheimdienst Hexe.«
»Hexe?«
Dominique übersetzte es ins Deutsche. Bandorff sah sie an.
»Danke«, sagte er spitz. »Ich weiß , was das Wort bedeutet.« Er hielt inne und wartete auf ihre Reaktion. Dann kicherte er. »Hexe, der Name gefällt mir.«
»Das Foto«, fuhr Barclay fort, »zeigt Sie mit einer jungen Frau, Herr Bandorff. Sie stehen inmitten einer Menschenmenge in Edinburgh. Sie schauen sich den Papst an.«
»Tatsächlich?«
»Wir interessieren uns für die Frau.«
»Warum?«
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