Kassandra Verschwörung
Es war stockdunkel, nur oben am Himmel funkelten die Sterne. Es war so anders als in London, so ruhig und einsam. Vor allem einsam. Sie hatten darüber gesprochen, Wachhunde anzuschaffen und sie in dem das Haus umgebenden Garten umherstreifen zu lassen. Aber wer sollte sie füttern und sich um sie kümmern? Also gab es stattdessen das Alarmsystem, das mit der örtlichen Polizeiwache und mit der von Perth verbunden war (mit Letzterer für die Zeiten, in denen die Wache von Auchterarder geschlossen oder nicht besetzt war).
Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, ging Henrik zur Haustür, öffnete sie und sperrte sie hinter sich ab, wobei er sowohl das Einsteckschloss als auch das Yale-Schloss verriegelte. Am Ende des Flurs, wo sich neben der Küchentür in einem an der Wand angebrachten Metallkasten das zentrale Alarmsystem befand, brannte Licht. Er schloss den Kasten mit einem Schlüssel auf und aktivierte mit einem anderen das System. Die oben gelegenen Schlafzimmer verfügten über eigene Bäder, weshalb er für das ganze Haus die Alarmanlage einschaltete. Niemand musste vor dem nächsten Morgen sein Zimmer verlassen. In der Früh hatte der Erste, der aufstand, eine Minute Zeit, das Alarmsystem zu deaktivieren, bevor draußen am Haus und bei der Polizeiwache die Alarmglocken zu schrillen begannen.
Nachdem er das System jetzt aktiviert hatte, blieb ihm eine Minute Zeit, auf sein Zimmer zu gelangen. Während er auf die Treppe zusteuerte, teilte ihm ein leises Summen aus dem Kasten mit, dass das System aktiviert wurde. Als das Summen aufhörte, waren die diversen Fenstersicherungen, Bewegungsmelder und Drucksensoren für die Nacht in Betrieb. Oben war alles still, in Khans Schlafzimmer brannte kein Licht. Henrik schaltete die Beleuchtung im Flur aus und schloss die Tür seines Zimmers hinter sich.
Sie kennt das Haus fast so gut wie die Umgebung. In den vergangenen zwei Tagen war sie ein halbes Dutzend Mal hier gewesen, zweimal davon mitten in der Nacht, zur Geisterstunde.
Sie hatte durch verschiedene Fenster ins Haus gespäht und durch den Briefkastenschlitz in den Flur. Sie hatte gesehen, dass der Kasten mit der Alarmanlage am Ende des Flurs an der Wand hing. Sie wusste, um was für eine Art von Alarmsystem es sich handelte. Sie hatte die Tür- und Fensterschlösser ins Visier genommen und sogar einen an einem Stiel befestigten abgewinkelten Spiegel durch den Briefkastenschlitz geschoben, um die Schlösser von innen betrachten zu können. Es hatte sich alles als sehr zufriedenstellend herausgestellt. Das nächste Haus ist fast einen Kilometer entfernt. Im Garten gibt es kein Alarmsystem, keine Infrarotlichtschranken, die, wenn sie unterbrochen werden, automatisch Flutlicht einschalten. Es gibt überhaupt kein Licht, das es ihr erschweren würde, sich dem Haus zu nähern. Keine Kameras. Keine Hunde. Sie ist besonders darüber froh, dass es keine Hunde gibt.
Das Tor ist hoch und oben mit Nägeln bestückt, aber die Mauer ist eine bejammernswerte Konstruktion mit aufzementierten Scherben aus Flaschenglas – kaum Khans Werk. Sie musste schon da gewesen sein, als er das Haus gekauft hatte. Die Glasscherben waren im Lauf der Jahre stumpf geworden. Sie würde sich nicht einmal die Mühe machen, eine Decke darüberzulegen, bevor sie in den Garten kletterte.
Aber als Erstes ist die Alarmanlage dran. Sie schnallt sich einen speziellen Klettergurt um – einen Gurt, wie ihn jeder Telefontechniker benutzt – und befestigt Spikesohlen unter ihren Schuhen. Die Spikesohlen sind eigentlich für Gärtner gedacht, damit sie Belüftungslöcher in den Rasen treten. Sie hat die Spikes nur ein wenig abgewandelt. Die Spikeschuhe stammen aus einem Gartencenter außerhalb von Perth, wo sie auch noch jede Menge anderen Kram erstanden hat, den sie gar nicht brauchte und nur gekauft hat, um den Erwerb der Spikeschuhe zu verschleiern. Bevor sie in Perth war, ist sie an zwei weiteren Gartencentern vorbeigekommen. Die Polizei würde vielleicht ein oder zwei Gartencenter überprüfen, aber sie bezweifelt, dass sie so weit rausfuhren.
Sie steht jetzt neben einem Telegrafenmast in einem Feld auf der anderen Seite des Sträßchens, an dem sich Khans Haus befindet. Sie weiß, dass dies eine gefährliche Phase ist. Gleich kann man sie vom Haus aus sehen. Sie schaut auf die Uhr. Zwei. Der Leibwächter hat das Haus zwei Stunden zuvor abgeschlossen. Morgen werden sie früh aufstehen, um ihren Rückflug in Richtung Süden
Weitere Kostenlose Bücher