Kassandra Verschwörung
Spucke, fängt man eine Mücke, wie es so schön heißt. Aber während wir hier rumsitzen, verlieren wir bereits wertvolle Zeit. Also, packen wir’s an. Machen wir uns an die eigentliche Arbeit.«
Dominic Elder war besorgt, als er sich an diesem Abend in den windigen Straßen die Füße wund lief. Es waren nicht Greenleaf und Doyle, die ihm Sorge bereiteten. Sie schienen ganz fähig zu sein, auch wenn sie ein seltsames Duo abgaben. Vielleicht waren sie auch gar nicht seltsam. Schließlich war es eine altbewährte Verhörtaktik, als Duo mit verteilten Rollen aufzutreten; die Good-Guy-Bad-Guy-Methode. Es konnte eine nützliche Kombination sein.
Elder tat etwas, was er schon seit Jahren nicht mehr getan hatte – er kaufte sich eine Portion Fish and Chips. Das Essen wurde auf einem Styroporteller mit einer kleinen Holzgabel serviert, das Ganze eingeschlagen in eine Papiertüte. Er kannte Fish and Chips in Zeitungspapier eingewickelt, von dem die Druckerschwärze abfärbte, wenn man mit den Fingern den Fisch herauspickte. Der Kabeljau hatte Struktur, aber er schmeckte nach nichts. Und die Pommes schmeckten und sahen nach Industrieware aus, was ihn deprimierte, aber nicht bekümmerte.
Was ihm Sorgen machte, war die Hexe.
Er konnte sie beinahe riechen. Sie war hier gewesen. Und ihr Aufenthalt lag erst so kurz zurück, dass ihre unheilvolle Aura den Ort noch immer umgab. Ob sie noch da war? Er glaubte es nicht. Aber wenn die Schlinge sich um sie zuzog, würde sie vielleicht zurückkommen. Auf der Suche nach einem sicheren Hafen. Das hier war ihr erster Unterschlupf nach ihrer Ankunft in England gewesen. Der Ort würde ihr etwas bedeuten und mit Erinnerungen behaftet sein. Verwundet würde sie sich vielleicht hierher zurückschleppen. Es konnte nichts schaden, wenn Elder das Terrain sondierte, ihr Heimatterrain. Also erkundete er den Ort und redete mit Leuten. Wurde in der Bäckerei die ganze Nacht gearbeitet? Ja, aber die Nachtschicht würde erst um elf eintreffen. Er konnte später wieder vorbeikommen und seine Fragen dann stellen. Je länger er umherstreifte, desto leichter ging ihm seine Geschichte von den Lippen. Sie war seine Tochter, sie war abgehauen, und er wollte sie finden. Doyle und Greenleaf würden in den Pubs und Klubs eine ähnliche Geschichte erzählen, nur mit der Abwandlung, dass sie die Hexe nicht als ihre Tochter, sondern als ihre Schwester ausgaben.
Elder wusste, dass er alt wurde. Obwohl er auf dem Land lebte, war er an diesem Abend so viel marschiert wie sonst in einem ganzen Jahr nicht. Doyle und Greenleaf waren jünger, fitter und schneller als er. Sie würden schnell sein, wenn es galt, eine Entscheidung über Leben und Tod zu treffen. Würde er zu langsam reagieren? Was wäre, wenn er der Hexe gegenüberstünde, ihr erneut gegenüberstünde? Wäre sie so viel schneller als er? Oder war sie auch gealtert? Nein, nach dem Khan-Anschlag zu urteilen nicht. Wenn sie sich überhaupt verändert hatte, war die verdammte Hexe ausgebuffter denn je. Bei der Befragung des Lastwagenfahrers auf dem Polizeirevier hatte er Schwächen gezeigt, hatte Suggestivfragen gestellt, anstatt abzuwarten, dass Moncur seine eigene Version erzählte. Das war nicht gut. Das bereitete ihm Sorgen.
Und noch etwas anderes bereitete ihm Sorgen. Sie wäre nicht nach England gekommen, wenn sie nicht etwas wirklich Großes im Schilde führen würde. Er wusste nicht, warum er dies spürte, aber er spürte es. England war feindliches Territorium für sie, Elders Territorium. Er konnte nicht anders, als das Ganze auf einer persönlichen Ebene zu sehen. Was gefährlich war. Es bestand nämlich das Risiko, die Dinge aus dem falschen Blickwinkel zu betrachten, in bestimmte Situationen zu viel hineinzulesen – oder zu wenig. Er hätte nur zu gern gewusst, auf wen sie es abgesehen hatte. Ihm kam in den Sinn – es hatte ihm schon die ganze Woche im Kopf herumgespukt -, dass er vielleicht ihr Ziel war. Aber das ergab keinen Sinn. Er stellte keine Bedrohung für sie dar. Er war pensioniert, nicht mehr im Spiel. Es sei denn, in seinem Dossier gab es etwas über sie, das er übersehen hatte und das ihr gefährlich werden könnte. Na gut, jetzt besaß Barclay das Dossier; vielleicht würde er irgendetwas entdecken, das ihm entgangen war.
Ihr Ziel musste der Gipfel sein. Aber war es nicht gleichzeitig ein zu offensichtliches Ziel, wie Greenleaf angedeutet hatte? All die Staatsoberhäupter... Doch man durfte auch nicht vergessen, was für
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