Kassandra Verschwörung
den Achseln. »Beschreiben Sie sie mir.«
Er führte sie durch einen Flur, der wie ein Lager aussah. Es gab Kisten mit Flugblättern, kippelige Bücherstapel, die Wände waren mit politischen Postern zugekleistert. Auf einem prangte ein aufgezeichnetes großes A in einem Kreis.
»Das Anarchiesymbol«, sagte sie und deutete auf das Zeichen. »Wie auf meinem Button.«
Er nickte, sagte aber nichts. Vielleicht war sie ein wenig zu plump gewesen. Sie versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen, indem sie gleichmäßig atmete. Ihr Blick fiel auf ein anderes Poster, auf dem sich ebenfalls ein kunstvoll gezeichneter Kreis befand, der jedoch ein großes V enthielt.
» V für Vendetta «, erklärte er. »Das ist ein Comicbuch.«
»Sieht aus wie ein auf dem Kopf stehendes Anarchiesymbol.«
»Da haben Sie gar nicht so unrecht.« Der Vergleich schien ihm zu gefallen.
Der Raum, den sie betraten, war stickig und schien zugleich als Wohn- und Schlafzimmer zu dienen. Hier standen weitere Kisten, weitere Bücher, herrschte weiteres Chaos. Eine nicht mehr ganz junge Frau saß aufrecht in einem Schlafsack auf dem Boden. Ihr langes braunes Haar fiel ihr über die nackte Brust. Sie machte den Eindruck, als wäre sie gerade aufgewacht.
»He, Dawn, steh auf, und mach uns einen Kaffee!«
»Herrgott, J-P, ich war doch erst gestern dran.« Ihr Akzent klang Amerikanisch. Wrightson bedachte sie mit einem missmutigen Brummen: »Wie spät ist es überhaupt?«, fragte sie.
»Fast zehn«, antwortete Dominique, als Wrightson mit den Schultern zuckte.
»Verdammt, ist ja noch mitten in der Nacht.« Die Frau suchte um sich herum den Boden ab, bis sie etwas Tabak und Zigarettenpapier fand, drehte sich eine Zigarette, stieg aus ihrem Schlafsack und schlurfte in die Küche. Wrightson sah ihr nach.
»Haben kein Schamgefühl, diese Yankees«, erklärte er. »Apropos...« Er schlurfte hinters Sofa, hob eine Jeans vom Boden auf, schüttelte sie aus und schlüpfte hinein. Dann setzte er sich auf die Armlehne des Sofas. Dominique stand noch. »Sie wollten mir gerade Diana beschreiben«, sagte er.
»Ah ja, also, sie ist groß und hat kurzes dunkles Haar. Engländerin, glaube ich. Sie hat einen sehr... äh, durchdringenden Blick.«
Er dachte einen Moment nach und zuckte mit den Achseln. »Kurzes Haar, sagen Sie? Hochgesteckt vielleicht?«
»Ja, hochgesteckt.«
Er überlegte erneut. »Wo sind Sie ihr begegnet?«
»Vor dem Louvre, neben der Pyramide. Sie hat allein dagesessen und sich die Wasserfontänen angesehen. Ich habe mich gelangweilt. Wir haben uns ein wenig unterhalten. Ich mochte sie.«
Er zog an seiner Zigarette und stieß den Rauch durch die Nase aus. Währenddessen ließ er sie nicht aus den Augen. »Was hatte sie an?«
Dominique tat so, als versuchte sie, sich zu erinnern. »Eine schwarze Jeans, glaube ich. Und ein T-Shirt. An die Farbe kann ich mich nicht entsinnen.«
»Sonnenbrille?«
»Nein. Vielleicht hatte sie eine in ihrer Tasche.«
»Mm-hmm.«
Die Frau, Dawn, war zurückgekommen und zog sich an. Sie musterte Dominique und entdeckte den Button. »Das Anarchiesymbol«, bemerkte sie und nickte.
»Wie heißen Sie, chérie ?«, fragte Wrightson.
»Françoise.«
»Wie Françoise Sagan?«
»Ja, ich denke schon.«
»Sind Sie eine Anarchistin, Françoise?«
Sie nickte. Er zeigte auf die Kisten.
»Nehmen Sie sich ein bisschen Lektüre mit. Vielleicht kennen Sie das alles schon, vielleicht aber auch nicht. Und lassen Sie eine Adresse und eine Telefonnummer da. Damit ich Diana sagen kann, wo sie Sie finden kann, falls sie hier aufkreuzt.«
»Also kennen Sie sie doch?«
Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
»Ich hab ihr meine Telefonnummer schon vorm Louvre gegeben. Aber sie hat sich nie gemeldet, obwohl sie sagte, dass sie es tun würde. Wir haben etwas zusammen getrunken... Ich mochte sie.«
Sie hoffte, dass sie so verzweifelt klang und aussah, wie sie sich fühlte. Wrightson war misstrauisch und außerdem sehr vorsichtig. Das hätte ihr aufgrund seines Telefonats mit Separt klar sein müssen. Er hatte sich nur durch ein einziges Wort verraten – Janetta’s. Ihr ging auch noch etwas anderes durch den Kopf: Vielleicht gab es noch eine Bar, die Janetta’s hieß, und noch einen Jean-Pierre, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnte. Vielleicht, aber nach ihrem Bauchgefühl zu urteilen, war sie hier richtig. Sie ging zu den Kisten und nahm ein Pamphlet heraus; es war sehr wortreich und
Weitere Kostenlose Bücher