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Kassandra

Kassandra

Titel: Kassandra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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muß ich dir noch erklären. Nein, es gab keinen Rest von Kummer in mir über dein Verhalten damals; daß du, selbst wenn du da warst, selbst wenn du bei mir lagst, zurückgezogen warst, das verstand ich wohl; daß du meine törichten Beteuerungen nicht mehr hören konntest, dieses ewige: Ich will doch dasselbe wie sie! Nur: Warum hast du mir nicht widersprochen. Mir nicht erspart, mich soweit zu vergessen, diesen Satz dem Eumelos selbst entgegenzuhalten, bei unserm ersten wirklich offenen scharfen Zusammenstoß.
    Es war, nachdem unser armer Bruder Lykaon durch Achill das Vieh gefangengenommen und gegen ein kostbares Bronzegefäß an den gehässigen König von Lemnos verkauft worden war – eine Schmach, unter der Priamos stöhnte. Und in der Zitadelle schien es nur einen einzigen zu geben, der auf den schandbaren Übermut des Feindes die Antwort wußte; der Mann war Eumelos. Er zog die Schrauben an. Er warf sein Sicherheitsnetz, das bisher die Mitglieder des Königshauses und die Beamtenschaft gedrosselt hatte, über ganz Troia, es betraf nun jedermann. Die Zitadelle nach Einbruch der Dunkelheit gesperrt. Strenge Kontrollen alles dessen, was einer bei sich führte, wann immer Eumelos dies für geboten hielt. Sonderbefugnisse für die Kontrollorgane.
    Eumelos, sagte ich, das ist unmöglich. (Selbstverständlich wußte ich, daß es möglich war.) – Und warum? fragte er mit eisiger Höflichkeit. – Weil wir uns damit selber schaden, mehr als den Griechen. – Das möcht ich gerne noch mal von dir hören, sagte er. – In diesem Augenblick sprang die Angst mich an. Eumelos,rief ich, flehend, dessen schäm ich mich noch immer: Aber glaub mir doch! Ich will doch das gleiche wie ihr.
    Er zog die Lippen hart zusammen. Den konnte ich nicht gewinnen. Er sagte förmlich: Ausgezeichnet. So wirst du unsre Maßnahmen unterstützen. – Er ließ mich stehen wie ein dummes Ding. Er näherte sich dem Gipfel seiner Machtvollkommenheit.
    Wie kam es, daß ich derart niedergeschlagen war. Daß ich mich in einen inneren Dialog mit Eumelos – mit Eumelos! – verstrickte, der über Tage und Nächte ging. Soweit war es gekommen. Ihn, Eumelos, wollte ich überzeugen. Aber wovon! hast du, Aineias, mich gefragt, da blieb ich stumm. Davon, daß wir nicht werden dürften wie Achilles, würde ich heute sagen, bloß um davonzukommen. Daß es noch nicht erwiesen sei, daß wir, bloß um davonzukommen, wie die Griechen werden müßten. Und selbst wenn! War es nicht wichtiger, nach unsrer Art, nach unserem Gesetz zu leben, als überhaupt zu leben? Aber wem wollte ich das weismachen. Und stimmte es denn überhaupt. War nicht Überleben wichtiger. Das allerwichtigste von allem. Das einzige, worauf es ankam. So wäre Eumelos der Mann der Stunde?
    Wenn aber längst die Frage anders lautete, nämlich so: das Gesicht des Feindes annehmen, aber trotzdem untergehn?
    Hör zu, Aineias. Ach begreif mich doch. Das könnte ich nicht noch einmal überstehen. An manchen Tagen lag ich auf meinem Lager, trank etwas Ziegenmilch, ließ die Fenster verhängen, schloß die Augen und blieb regungslos, um das Tier, das mein Gehirn zerfleischte, nur nicht an mein Dasein zu erinnern. Marpessa gingsehr leise hin und her, sie holte Oinone, die mir sanft, wie nur sie es konnte, über Stirn und Nacken strich. Ihre Hände waren jetzt immer kalt. Kam schon der Winter?
    Ja, der Winter kam. Der große Herbstmarkt vor den Toren hatte stattgefunden, ein Gespenst von einem Markt. Als Verkäufer verkleidete Eumelos-Leute, dazwischen, starr, die wirklichen Verkäufer. Als Käufer verkleidete Eumelos-Leute, zwischen ihnen, vor Schrekken unbeholfen, wir, die Käufer. Wer spielte wen? In festen Pulks, unsicher, frech, die Griechen. Zufällig stand ich eingekeilt neben Agamemnon, als der bei einem Goldschmied ohne zu feilschen einen sehr teuren, schönen Halsschmuck kaufte. Und noch einmal den gleichen, den hielt er mir hin: Ist er nicht schön? – Um uns bis zu den Horizonten Totenstille. Ich sagte ruhig, beinahe freundlich: Ja. Er ist sehr schön, Agamemnon. – Du kennst mich, sagte Agamemnon. – Wie denn nicht. – Er sah mich lange seltsam an, ich konnte seinen Blick nicht deuten. Dann sprach er leise, nur für mich verständlich: Dieses hier würd ich für mein Leben gerne meiner Tochter schenken. Sie ist nicht mehr. Irgendwie sah sie dir ähnlich. Nimm du’s. – Dann gab er mir den Schmuck und machte sich sehr schnell davon.
    Von meinen Leuten hat nie jemand diesen Schmuck

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